Macht Hafer unsere Pferde wirklich heiß?
Getreide spielt eine immer größer Rolle in der Pferdefütterung. Dies liegt insbesondere daran, dass wir unsere Pferde vermehrt im sportlichen Bereich einsetzen und ihnen somit mehr Energie abverlangen. Bei den Begriffen „Getreide” und „Pferd” denkt man als Reiter automatisch als erstes an Hafer. Doch warum ist dieses doch so gesunde Getreide heute teilweise immer noch so verteufelt? Was steckt hinter den Mythen und welchen Vorteil bietet die Haferfütterung? Wir decken die neuesten Erkenntnisse auf und räumen mit alten Vorurteilen auf.
Table des matières
- Behauptung #1 – Pferde sind Wiederkäuer 🐮
- Behauptung #2 – Getreide ist nicht Teil der natürlichen Ernährung des Pferdes 🌾
- Behauptung #3 – Hafer ist das ideale Getreide für Pferde
- Behauptung #4 – Hafer macht Pferde „heiß“
- Behauptung #5 – Schwarzhafer ist stimulierender als weißer Hafer
- Behauptung #6 – Hafer sorgt für ein schöneres Fell deines Pferdes
- Behauptung #7 – Hafer ist besser für die Verdauung als anderes Getreide
- Behauptung #8 – Man sollte dem Pferd Heu geben, bevor man ihm Hafer gibt
Behauptung #1 – Pferde sind Wiederkäuer 🐮
FALSCH! Auch wenn wir diese Behauptung häufig hören, Pferde sind keine Wiederkäuer.
Pferde ernähren sich ausschließlich von Pflanzen und sind somit also Pflanzenfresser! Sie haben nur einen einzigen Magen, weshalb sie auch als Monogastrier (von gr.: „mono” für „ein” und „gaster” für Magen) bezeichnet werden können. Damit unterscheiden sie sich von den Wiederkäuern, wie der Kuh, dem Schaf, dem Lama usw., die mehrere Mägen besitzen (um genau zu sein einen Magen und mehrere Abteilungen). Wiederkäuer sind dazu in der Lage, bereits anverdaute Nahrung aus dem Magen wieder in ihr Maul zurückzubefördern und erneut zu kauen (=wieder kauen). Igitt 🤢! Pferde sind dazu nicht in der Lage. Das wäre auch relativ schwierig für sie, weil sie sich, wie du sicherlich weißt, nicht übergeben können.
Es ist vor allem wichtig, das Verdauungssystem deines Pferdes zu kennen, um seine Ernährung ideal anpassen zu können. Wenn dein Pferd z. B. auf der Weide ist, dann frisst es kleine Mengen, dafür aber umso häufiger: es verbringt 15 bis 19 Stunden pro Tag mit Fressen [1]. Sein Verdauungstrakt ist an seine natürliche Art der Ernährung (d. h. an die Verdauung von Pflanzen) und seinen Rhythmus der Nahrungsaufnahme angepasst. Sein Magen und sein Dünndarm sind im Vergleich zu seinem Dickdarm, der für die mikrobielle Verdauung der Pflanzenstoffe zuständig ist, relativ klein. Das Zusatzfutter, das wir unserem Pferd geben, ist alles andere als natürlich: es wird mithilfe von Enzymen größtenteils im Dünndarm verarbeitet.
Behauptung #2 – Getreide ist nicht Teil der natürlichen Ernährung des Pferdes 🌾
RICHTIG!
Die natürliche Ernährung des Pferdes besteht fast ausschließlich aus Gräsern. Der Futterzusatz wurde vom Menschen aufgrund seiner verstärkten Nutzung hinzugefügt [2]. Er besteht aus Pflanzensamen wie Getreide (Gerste, Hafer, Mais), Hülsenfrüchten (Erbsen, Ackerbohnen, Lupine, Soja) und Ölen (Leinsamenöl, Erdnussöl, Sonnenblumenöl…). Er wird dem Futter von Pferden, die einen erhöhten Energieverbrauch haben (Pferde im Wachstum oder Pferde, die intensiv arbeiten), beigemischt, um den Energie- und Proteingehalt ihrer täglichen Nahrungsration zu steigern.
Da der Mensch das Pferd immer mehr im sportlichen Bereich eingesetzt hat, stieg der Energiebedarf der Pferde nach und nach und Samen und Körner wurden immer wichtiger für die Rationsberechnung der Pferde. Ihr Einsatz fand in viele Ställen Zuspruch, was dazu führte, dass den Pferden mehr Energie über die Nahrung zugeführt wurde, als sie verbrauchten. Hafer bleibt bis heute eins der am meist gefütterten Getreide.
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Behauptung #3 – Hafer ist das ideale Getreide für Pferde
FALSCH!
Hafer wurde ursprünglich nicht aufgrund seiner nutritiven Eigenschaft zur Fütterung von Pferden eingesetzt [2]. Hafer wurde verwendet, da er damals nicht Teil der menschlichen Ernährung war (damals gab es eben noch keine Bio-Läden). Man kann also sagen, dass der Mensch nicht wollte, dass das Pferd ihm sein Essen wegisst. Hafer ist zudem leicht anzubauen und relativ kostengünstig in der Beschaffung.
Ein weiterer Vorteil: Hafer gehört zu den weichen Körner, die im Vergleich zu rauhen Körnern keine besondere Verarbeitung benötigen, bevor sie verfüttert werden können. Hafer wurde damals also insbesondere aufgrund von finanziellen und logistischen Gründen zur Pferdefütterung verwendet. Dies ist heute nicht mehr der Fall, da Hafer immer weniger angebaut wird und preislich über vielen anderen Getreidearten liegt.
Behauptung #4 – Hafer macht Pferde „heiß“
FALSCH! Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage dafür…
Du hast sicherlich schon einmal gehört, dass Hafer dein Pferd ganz verrückt macht. Man spricht dem Hafer eine aufputschende Wirkung auf das zentrale Nervensystem zu, da er eine mysteriöse Substanz, die seit 150 Jahren Avenin genannt wird, enthält [2]. Man sagt, dass dieser Wirkstoff langsame Pferde fleißiger, aber dass Pferde, die bereits fleißig sind, dadurch viel zu heiß werden. Naja…
Das Problem an dieser These ist, dass das Vorhandensein von Avenin trotz moderner Technologien nie bewiesen werden konnte. Es ist also nicht sicher, dass es existiert! Pferde aus Amerika oder aus dem Nahen Osten sind genauso aktiv und rege wie unsere Pferde, obwohl erstere mit Mais und zweitere mit Gerste gefüttert werden…
Abgesehen von einigen empirischen Daten gibt es also keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass Hafer irgendeine stimulierende Wirkung hat. Dazu muss gesagt werden, dass es aber auch keine gegensätzlichen Hinweise gibt.
Behauptung #5 – Schwarzhafer ist stimulierender als weißer Hafer
FALSCH!
Es ist richtig, dass dem Schwarzhafer nachsagt wird, das Nervensystem stärker anzuregen als weißer Hafer. Grauer Hafer befindet dementsprechend zwischen den beiden. Man spricht ihm einen größeren Anteil von Avenin zu. Wie du jedoch weißt, wurde die Existenz von Avenin nie wissenschaftlich bewiesen. Man kann also nicht sagen, dass die Farbe des Hafers einen Einfluss auf die Stimmung deines Pferdes hat [2]. Das Einzige, was man mit Sicherheit sagen kann, ist, dass der Schwarzhafer mehr Mandelanteile enthält als der weiße Hafer. Dies bedeutet, dass er mehr Energie bereitstellt. Dies lässt jedoch in keinem Fall einen Schluss auf seine pharmazeutische Wirkung auf das zentrale Nervensystem zu.
Behauptung #6 – Hafer sorgt für ein schöneres Fell deines Pferdes
RICHTIG!
Hafer enthält viele Lipide, d. h. Fette (5-6%) und insbesondere die essenzielle Fettsäure Linolsäure, die sich positiv auf die Gesundheit und die Gesamtheit von Haut und Haar auswirkt. Hafer sorgt also für einen schönen Glanz des Fells.
Behauptung #7 – Hafer ist besser für die Verdauung als anderes Getreide
RICHTUNG und FALSCH!
Hafer enthält relativ viel Zellulose (10%), die ein Hauptbestandteil der pflanzlichen Zellwand ist. Es wird somit weniger Getreide selbst aufgenommen und Getreideunverträglichkeiten kommen seltener vor. Hafer kann hingegen weniger gut vom Pferd verdaut werden und zu Irritationen des Darms, Appetitlosigkeit, Durchfall und manchmal sogar zu Koliken führen [2]. Die Salizylsäure, die in Teilen der Haferpflanze vorkommt, scheint der Grund dafür zu sein.
Der Hauptgrund jedoch scheint der exzessive und zu plötzliche Einsatz des Hafers in der Pferdefütterung zu sein. Durch die zusätzliche Haferfütterung verringert das Pferde seine Aufnahme von Raufutter. Das Raufutter jedoch hat eine balaststoffähnliche Funktion und beschleunigt den Nahrungsmitteltransport im Verdauungstrakt. Es kommt also zu einer verlangsamten Transitzeit im Verdauungstrakt, die das Auftreten von Verdauungsstörungen und Gärungsprozesse begünstigt. Der Schuldige ist also nicht der Hafer. Bei anderen Getreiden kann genau das gleiche Phänomen beobachten werden, wenn diese in zu großen Mengen und zu plötzlich zur Pferdefütterung zugefügt werden.
Behauptung #8 – Man sollte dem Pferd Heu geben, bevor man ihm Hafer gibt
RICHTIG!
Du weißt sicherlich, dass du deinem Pferd vor der Gabe von Zusatzfutter unbedingt Heu geben solltet. Heu spielt eine wichtige Rolle bei der Darmhygiene des Pferdes. Was du vielleicht nicht weißt, ist, warum? Das Pferd verbringt viel Zeit damit, Heu zu kauen, was seine Drüsen dazu anregt, mehr Speichel zu produzieren. Dieser Speichelfluss begünstigt die Entleerung des Magens und aktiviert die Peristaltik (die Bewegungen des Darms, die den Speisebrei vorwärts befördern). Das Ziel dabei ist es, die natürliche Transitzeit aufrechtzuerhalten und einer Verdauungsstörung und Gärung aufgrund einer Stagnation des Nahrungsbreis im Darm vorzubeugen. Nach der Heuaufnahme ist das Verdauungssystem bereit, Zusatzfutter zu verdauen!
Noch besser ist es, wenn du deinem Pferd Hafer (oder jedes andere Zusatzfutter) in mehreren kleinen Portionen gibst. Dazu gibt es bald mehr in einem anderen Artikel.
Also ich hoffe, der Artikel hat dir gefallen.
Bis bald 👋
Marine Slove
Tierärztin und Produktentwicklerin bei Equisense