Wie wirkt sich mein Training auf die Muskeln meines Pferdes aus?
Viele Reiter sind geradezu besessen davon, ein schönes und muskulöses Pferd zu haben. Da es bislang jedoch weder Hanteln noch Trainingsbänke für Pferde gibt, greifen wir auf ein wenig merkwürdige Methoden, wie „Gymnastizierung“ und „Arbeit auf unebenem Gelände“ zurück. Aber sind diese Methoden auch wirklich effektiv? Hast du dich schon einmal gefragt, warum man dich denn solche Übungen machen lässt? Um für Klarheit zu sorgen, habe ich mit Dr. Emmanuelle Van Erck, Tierärztin vieler international erfolgreicher Pferde und Mitglied des wissenschaftlichen Komitees von Equisense, gesprochen. Zusammen erklären wir dir alles rund um die Muskeln und den Muskelaufbau beim Pferd, damit dein Pferd fit in den Sommer starten kann ☀
Table des matières
1. Die verschiedenen Muskelarten
Vorab eine Auffrischung der Grundlagen der Anatomie und Physiologie. Es gibt 3 Muskeltypen:
- die Skelettmuskeln, die uns Bewegungen ermöglichen
- die glatten Muskeln, die wir nicht aktiv kontrollieren können, wie die Muskeln unseres Verdauungstrakts, der Speiseröhre oder die Wand der Blutgefäße
- der Herzmuskel, dessen Funktion irgendwo zwischen diesen beiden liegt
In diesem Artikel konzentrieren wir uns auf die Skelettmuskeln. Kleine Info vorab: Die Muskeln unserer Pferde sind fast identisch mit unseren.
2. Woraus besteht ein Skelettmuskel?
Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich bei einem Skelettmuskel um mehrere Muskelfaserbündel. Hierbei ist es wichtig zu wissen, dass es verschiedene Arten von Muskelfasern gibt, die den Muskeln ihre unterschiedlichen Eigenschaften verleihen. Hier eine kleine Übersicht der verschiedenen Muskelfasern:
Rote oder S-Fasern (Typ I)
Bei den sogenannten S-Fasern (das „S“ steht für Slow) handelt es sich um tendenziell langsam kontrahierende Muskelfasern, die einen relativ begrenzten Kraftaufwand über längere Zeit hinweg ausüben können. Da sie viel Sauerstoff benötigen, sind sie mit vielen feinen Kapillaren durchzogen. Diese Muskelfasern sind besonders wichtig für das Ausdauertraining.
Weiße oder F-Fasern (Typ II)
Man unterscheidet hier zwei verschiedene Untertypen:
- Die Muskelfasern des Typs IIB sind schnell zuckende, kräftige Muskelfasern, die viel Energie verbrauchen und daher schnell ermüden. Sie dienen also vor allem der kurzen Anstrengung, wie Sprints.
- Die Muskelfasern des Typs IIA kontrahieren mittelmäßig schnell, sind mittelmäßig kräftig und ermüden mittelmäßig schnell. Bei so viel „mittelmäßig” ahnst du es wahrscheinlich schon: Sie befinden sich zwischen den Muskelfasern des Typs IIB und I.
Der prozentuale Anteil der Muskelfasern des Typs I oder des Typs II variiert je nach Muskel, Rasse und… Training!
Type I | Type IIA | Type IIB | |
Aussehen | rot | „rosa” | weiß |
Größe | klein | mittel | groß |
Kraft | gering | mittel | hoch |
Ermüdung | gering | mittel | hoch |
Kontraktion | langsam | mittel | schnell |
Funktion | Ausdauer | intermediär | Sprint |
3. Die Verteilung der Muskelfasern
Welche Muskelfasertypen wo anzutreffen sind, hängt von mehreren Faktoren ab.
Die Verteilung der Fasern hängt von dem jeweiligen Muskel ab
Die statischen Muskeln werden die ganze Zeit über beansprucht, um das Pferd in einer aufrechten Position halten zu können. Sie bestehen also zum Großteil aus Fasern des Typs I und IIA. Dies ist z. B. bei den Muskeln des Rückens und des Kiefers der Fall. Letztere können zu bis zu 100 % aus Muskelfasertyp I bestehen.
Im Gegensatz dazu kann die Oberschenkelmuskulatur, wie der musculus semitendinosus, nur zu maximal 5 % aus dem Muskelfasertyp I bestehen. Diese Muskeln haben daher ausschließlich den Zweck, schnelle und intensive Bewegungen zu ermöglichen.
Die Verteilung der Muskelfasern hängt von der Pferderasse ab
Tatsächlich kann je nach Rasse die Verteilung der verschiedenen Muskelfasertypen enorm variieren. Das erklärt z. B., warum manche Rassen sich besser für den Ausdauersport eignen als andere.
Man nehme bspw. den musculus gluteus medius (ein Gesäßmuskel). Beim Quarter Horse besteht er zu durchschnittlich 9 % aus dem Muskelfasertyp I, beim Esel hingegen zu 24 %! Der Anteil des Typ IIB liegt beim Quarter Horse bei ganzen 40 %, was erklärt, warum es so ein ausgezeichneter Sprinter ist.
An alle Eselbesitzer: im Rennsport werdet ihr leider keine allzu großen Erfolge verzeichnen können …
Die Verteilung der Muskelfasern hängt vom Training ab
Du hast sicher schon geahnt, dass die Art und Weise, auf die du dein Pferd trainierst, sich auch auf die Zusammensetzung seiner Muskeln auswirkt.
Je mehr du also „lange und langsam” reitest, also die Ausdauer verbessert wird (lange Einheiten zur Gymnastizierung, viel Trab), desto mehr wird sich der Anteil des Muskelfasertyps I vergrößern.
Das Ganze funktioniert natürlich auch andersherum: Je mehr du an der Schnelligkeit und der Kraft deines Pferdes arbeitest (Cavaletti, In-Outs, aus dem Stand antraben oder angaloppieren, kurze aber schnelle Galoppphasen…), desto mehr wird sich der Anteil des Muskelfasertyps II vergrößern.
Jetzt weißt du, warum es so wichtig ist, ein abwechslungsreiches und an deine Disziplin angepasstes Trainingsprogramm auszuführen.
Beim Menschen ist das übrigens genauso! Marathonläufer haben besonders viele Muskelfasern des Typs I. Diese sind in ihrer Masse kleiner als Typ II, was für die langen Läufe wiederum von Vorteil ist.
Bei den Bodybuildern ist es genau andersherum. Sie trainieren mit schweren Gewichten und kürzeren Einheiten (was nicht heißen soll, dass sie insgesamt weniger lange trainieren). Ihr Ziel ist es, den Anteil des Typs II zu vergrößern, die eine große Masse haben. Das zeigt sich dann im Laufe der Zeit an den dicken Muskelpaketen!
Einen Marathon zu laufen ist für Bodybuilder hingegen (meistens) nicht gut möglich.
4. Wie sieht das ideale Muskeltraining also aus?
Kommen wir gleich zum Punkt. Die Art der Übungen und des Trainings verändern die Muskelfasern und so die Struktur der Muskeln deines Pferdes. Verrückt, oder?! Dies bedeutet, dass dein Training an deine Disziplin angepasst werden sollte, um Fortschritte zu erzielen. Emmanuelle Van Erck erklärt dir hier, wie’s geht:
„Bei jedem Training muss eine gewissen Ausdauer-Basis geschaffen werden. Es ist kein Geheimnis, dass dazu leichte bis mittelschwere Übungen von mindestens 45 Minuten durchgeführt werden sollten. Die Muskelfasern des Typs I werden so aufgebaut und gestärkt, um an Ausdauer zu gewinnen und den Überschuss der von den Muskelfasern des Typs II produzierten Milchsäure zu verwerten.
Mehr Informationen dazu: Wie verbessere ich die Kondition meines Pferdes?
Bodybuilding
Nach 4 Wochen ist der Muskel widerstandsfähiger und gekräftigt. Dann geht es in die nächste Phase: das Bodybuilding. Hierbei arbeiten wir an den Muskelfasern des Typs II. Wir beginnen mit 2 bis 3 Gymnastizierungseinheiten pro Woche: Arbeit an der Versammlung, Arbeit auf 2 Hufschlägen, Cavaletti, kleine Hindernisse, Arbeit im Wasser und auf Gelände mit Höhenvariationen. Die Übungen sollten dabei kräftigend und intensiv, aber von relativ kurzer Dauer sein. Zwischen den Übungen sollten Pause zur Erholung eingelegt werden, damit dein Pferd seine Atem- und Herzfrequenz wieder auf sein Normalniveau bringen kann. Diese Übungen helfen dir dabei, an der Größe der Muskeln deines Pferdes zu arbeiten. Das Ergebnis wird sich sehen lassen!
Beachte: Wenn man stets nur „langsame” Ausdauerübungen macht, kann dies dazu führen, dass das Pferd die wertvollen Muskelfasern des Typs II auf Dauer mit den langsam kontrahierenden Muskelfasern des Typs I ersetzt: das Pferd verliert also an Kraft. Bei einem Springpferd z. B. würde das bedeuten, dass es all seine Kraft und Schnelligkeit verliert, die es zum Überspringen der Hindernisse benötigt. Ein Springpferd sollte also nicht zu viel Zeit in der Führanlage oder mit Gymnastizierung verbringen.
Du kannst diese Übungen mit Übungen im versammelten Galopp im Außengelände abwechseln, bei denen dein Pferd an seiner Ausdauer und seiner Atmung arbeiten sowie seine Muskeln dehnen kann.
Erholungsphase
Achtung! Nach einer sehr intensiven Trainingseinheit oder einem Turnier braucht dein Pferd mindestens 48-72 Stunden, bis seine Muskel sich vollständig erholt haben. Beim Menschen brauchen die Muskeln im Vergleich dazu lediglich 24 bis 48 Stunden. Du solltest also nicht zu viele aufeinanderfolgende Trainingseinheiten für eine Woche planen.
Das Pferd ist von Geburt an ein Spitzensportler. Selbst wenn es nur auf der Weide herumläuft, ist es 100-mal leistungsfähiger als jeder menschliche Athlet. Zudem spricht es sehr schnell auf das Training an und wird langsamer wieder „unfit“. Selbst nach einem Monat Pause verliert es kaum an Leistungsfähigkeit.“
Jetzt weißt du hoffentlich alles über die wertvollen Muskeln und ihre Wichtigkeit für die verschiedenen Disziplinen! Solltest du ein wenig Hilfe benötigen, nimm einfach deinen Equisense Motion zur Hand, um deine Trainingseinheit zu analysieren. Du kannst somit überprüfen, wie viel Zeit du im Schritt verbringst, wie viele Sprünge du machst und sicherstellen, dass du nicht mehr als 1 Stunde mit Gymnastizierung verbringst.
5. Agonisten und Antagonisten
Um wirklich verstehen zu können, wie der Muskelaufbau beim Pferd funktioniert, muss man zunächst einige biomechanische Prozesse verstehen.
Jeder Muskel hat einen Gegenspieler, der genau die gegenteilige Bewegung ermöglicht. Es handelt sich dabei also jeweils um den Antagonisten. Ein Beispiel dafür sind der Bizeps und Trizeps.
Sind Muskeln Agonisten bedeutet das also, dass sie die auszuführende Bewegung unterstützen, sind sie jedoch Antagonisten, dann führen sie die genau entgegengesetzte Bewegung aus.
6. Die verschiedenen Arten der Kontraktion
Die Antagonisten ermöglichen mehrere Arten von Muskelkontraktion:
- Konzentrisch: Man spricht von einer aktiven Muskelverkürzung, wodurch er “dicker” wird. Der Antagonist hingegen wird gestreckt. Im Falle des Arms z. B. der Bizeps verkürzt und der Trizeps gestreckt.
- Exzentrisch: Bei der exzentrischen Kontraktion ist der Widerstand größer als die Muskelspannung, wodurch er sich verlängert und eine Spannungsänderung erzeugt. Nimmst du z. B. eine Hantel, beugst deinen Ellbogen (konzentrische Kontraktion des Bizeps) und streckst ihn wieder, dann führt dein Bizeps führt eine exzentrische Kontraktion durch. Auch er streckt sich, wenn du deinen Arm ausstreckst, um die Bewegung abzubremsen und das Gewicht zu tragen.
- Isometrisch (statisch): Hierbei findet keine Bewegung im eigentlichen Sinne statt. Nehmen wir das Leichttraben als Beispiel: Es kann passieren (natürlich nicht mit Absicht), dass man in dem Moment, in dem man aus dem Gleichgewicht gerät, die Oberschenkel gegen das Pferd presst, er wird angespannt, aber seine Position verändert sich nicht. Es findet also eine isometrische Kontraktion der inneren Oberschenkelmuskulatur (Adduktor) statt. Bei dieser Art der Kontraktion kann noch mehr Kraft ausgeübt werden als bei der konzentrischen Kontraktion.
Um also einen einzigen Bereich richtig zu bemuskeln, müssen 3 verschiedene Arten von Muskelkontraktionen ausgeführt werden. Kommen wir zu konkreten Beispielen.
7. Übungen für den Muskelaufbau der verschiedenen Körperpartien
Schau dir doch mal unsere Artikel rund ums Thema Muskelaufbau an:
Muskelaufbau mal anders: Kreative Übungen mit Hindernissen
Wenn es mal schnell gehen muss: Übungen ohne Bodenstangen,
Oft unterschätzt: Seitengänge zum Muskelaufbau
Wenn auch dich in Form bringen willst: 10 Powerübungen für zu Hause, Muskelaufbau für Reiter
Bis zum nächsten Artikel,
Camille Saute,
R&D-Managerin bei Equisense
Sehr interessant, schön mal auch mal den Hintergrund hinter den Übungen zu verstehen.