Wozu ist Osteopathie beim Pferd gut?
Die Anforderungen an Sportpferde steigen immer weiter und ihr Einsatz im Sport wird immer länger. Dabei sind die Gesundheit und das Wohlbefinden des Pferdes (zum Glück) innerhalb der letzten Jahre mehr in den Vordergrund gerückt. Zu diesem Zwecke holen sich immer mehr Pferdebesitzer einen Pferdeosteopathen mit ins Boot. In diesem Artikel geht es um die Grundsätze der Ostheopathie beim Pferd, wie sie funktioniert und was sie bezweckt.
Table des matières
- 💡Schon gewusst?
- Prinzipien der Osteopathie
- Die Einheit des Körpers auf das Pferd übertragen
- Welche Rolle spielt der Pferdeosteopath?
- Ist die Wirksamkeit osteopathischer Behandlungen beim Pferd belegt?
- Ist ein osteopathischer Tiermediziner einem Tierosteopathen (nicht-veterinär) vorzuziehen?
- Zusammenfassung
💡Schon gewusst?
Beginnen wir mit einer kleinen Anekdote: Frankreich ist mit einem Osteopathen für 1930 Einwohner das Land mit der höchsten Dichte an Osteopathen (für Menschen). Auch Osteopathen, die auf Tiere spezialisiert sind, gibt es dort viele. Aktuell sind es 380 osteopathische Tiermediziner und über 1000 Tierosteopathen (die noch nicht offiziell anerkannt sind). Das entspricht einem Tierosteopathen für 630 Pferde.
Prinzipien der Osteopathie
Bei der Osteopathie handelt es sich um eine Form der manuellen Therapie, die im 19. Jahrhundert vom amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still begründet wurde. Die Definition des Verbands der Osteopathen Deutschland (VOD) ist folgende:
Osteopathie ist eine eigenständige, ganzheitliche Form der Medizin, in der Diagnostik und Behandlung mit den Händen erfolgen. Osteopathie geht dabei den Ursachen von Beschwerden auf den Grund und behandelt den Menschen in seiner Gesamtheit. […] Unser Organismus besteht aus unzähligen Strukturen, die alle direkt oder indirekt miteinander zusammenhängen.
Diese Methode ist seit dem Jahr 2000 von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt. Ihre Funktionsweise basiert auf den Prinzipien von Andrew Taylor Still. Schauen wir uns drei davon genauer an:
- Der Körper ist eine Einheit
- Das Prinzip der Homöostase: der Körper befindet sich in einem stofflich-energetischen Gleichgewicht, ansonsten ist er „krank“
- Das Prinzip der Zirkulation: eine optimale Zirkulation von Flüssigkeiten ist notwendig, um das Gewebe zu regenerieren und den Körper funktionsfähig zu halten
Die Aufgabe des Osteopathen besteht demnach darin, die Mobilität und das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, sodass der Körper funktionsfähig bleibt.
Die Einheit des Körpers auf das Pferd übertragen
Betrachtet man den Körper als Einheit, bedeutet das, dass sich bestimmte Körperteile nicht getrennt voneinander betrachten lassen. Der Osteopath betrachtet den Körper also als Ganzes (egal ob Mensch oder Tier). Er betrachtet Kompensationsmechanismen, die als Folge von Schmerzen entstehen können.
Myofasziale Ketten und weitere Zusammenhänge zwischen Strukturen
Die Existenz von myofaszialen Ketten, die Muskeln und Faszien miteinander verbinden, konnte auch beim Pferd nachgewiesen werden (Elbrond & Schultz, 2021). Dadurch lässt sich auch die Verbindung verschiedener Strukturen erklären, die oft weit voneinander entfernt liegen, wie die Verbindung von Mund und Nacken mit dem Herzen, dem Magen, dem Zwerchfell oder dem Musculus iliopsoas.
Diese myofaszialen oder auch zentralen Ketten sind der Grund dafür, dass eine falsche Haltung des Kiefers Auswirkungen auf die Hinterhand haben kann. Mehr dazu in in unserem Artikel über das korrekte Verschnallen des Nasenriemens.
Es konnte auch ein Zusammenhang zwischen den Eingeweiden und den Muskeln bestätigt werden. In ihrer Webkonferenz erklärt Isabelle Burgaud, wie die Eingeweide durch Faszien (Gewebefasern) mit der Wirbelsäule verbunden sind wie „Kleiderbügel auf einer Stange“. Das bedeutet, dass die Eingeweide die Wirbelsäule nach unten ziehen. Schmerzende oder zu schwere Eingeweide können sich also auch negativ auf die Wirbelsäule auswirken.
Gleichermaßen können auch die Eingeweide untereinander Reaktionsketten hervorrufen. Nehmen wir den Magen als Beispiel. Er ist durch das Ligamentum gastrosplenicum an der Milz und der Leber und durch das Ligamentum gastrophrenicum mit dem Zwerchfell verbunden. Daher werden alle Spannungen des Zwerchfells auf den Magen übertragen, was sich wiederum auf die Leber und die Milz auswirken kann.
Des Weiteren hängen auch Nerven und Gefäße miteinander zusammen. Dehnen sich die Gefäße oder die Nerven im Bereich der „Kleiderbügel“ aus dem Beispiel von vorher aus, dann werden die Eingeweide in ihrer Funktion beeinträchtigt.
Wie entstehen osteopathische Dysfunktionen beim Pferd?
Osteopathische Dysfunktionen beim Pferd entstehen oft durch unerwartete Schocks, auf die der Körper sich nicht hat vorbereiten können (Stürze, falsche Bewegungen, Abwehrreaktionen nach einem missglückten Sprung oder einer missglückten Landung). Eine weitere Ursache kann das Wiederholen einer anormalen Bewegung, wie z. B. eines Lahmens sein. Wachstum, Zahnprobleme, schlecht sitzende Ausrüstung und Stress können ebenso Ursache einer Dysfunktion sein, die die Untersuchung durch einen Pferdeosteopathen notwendig macht.
Die Wahrheit über „ausgerenkte Wirbel“
Eine der bekanntesten osteopathischen Dysfunktionen ist der gute alte „ausgerenkte Wirbel“. Dabei ist anzumerken, dass der Wirbel nicht wirklich ausgerenkt, also deplatziert ist. Wäre das der Fall, wäre das Rückenmark, das durch den Wirbelkanal der Wirbelsäule verläuft, eingequetscht oder gar durchtrennt: das Pferd wäre dann von Para- oder Tetraplegie betroffen, also bis zu einem gewissen Grad gelähmt. Das ist allerdings meist nicht der Fall.
Häufig sind die kleinen Muskeln der Tiefenmuskulatur, mit deren Hilfe die einzelnen Wirbel sich bewegen können, verspannt oder blockiert. Daher kann die Wirbelsäule sich nicht mehr in alle drei Richtungen bewegen. Dadurch kann es wiederum zu einer „Irritation“ des Nervs kommen, der an der entsprechenden Stelle an der Wirbelsäule liegt. Die Struktur, die von diesem Nerv innerviert wird, erhält dann die Information, dass eine Entzündung vorliegt. Es können verschiedene Dysfunktionen an Strukturen entstehen, die weit vom betroffenen Nerv entfernt liegen und ursprünglich gar nichts mit der Ursache zu tun haben.
Die Ursache kann andersherum auch die Entzündung eines Organs sein, die dann die Blockade eines Wirbels zur Folge hat.
Welche Rolle spielt der Pferdeosteopath?
Das Konzept, dass der Körper eine Einheit bildet, erklärt die Kompensationsketten und die osteopathischen Dysfunktionen, die aus einem traumatischen Ereignis oder einer Verletzung resultieren können. Die Aufgabe des Osteopathen besteht darin, alle Dysfunktionen zusammen zu betrachten und so die Ursache des Problems zu finden, genauso wie ein Detektiv alle Hinweise sammelt, um den Täter zu finden.
Bei den ersten Sitzungen wird der Osteopath zunächst alle kompensatorischen Dysfunktionen ausfindig machen, um dann Schritt für Schritt der Ursache des Problems auf den Grund zu gehen. Dafür werden wahrscheinlich mehrere Sitzungen nötig sein, die mindestens drei bis vier Wochen auseinander liegen sollten.
Achtung, manchmal kann der Osteopath nicht eingreifen. Zu Beginn der Sitzung wird der Osteopath eine Ausschlussdiagnose stellen, um auszuschließen, dass eine tierärztliche Behandlung nötig ist, bevor die osteopathische Behandlung eingeleitet wird. Aus diesem Grund ist es unter Umständen nötig, dass erst ein Tierarzt das Pferd untersucht, bevor der Osteopath mit seiner Arbeit beginnt.
Umgekehrt kann ein Tierarzt das eigentliche Problem meistens auch lösen, aber nicht unbedingt die damit einhergehenden Kompensationsmechanismen.
Ist die Wirksamkeit osteopathischer Behandlungen beim Pferd belegt?
Ja, ist sie! Die Auswirkungen auf die Bewegungsqualität des Pferdes konnte in einer Studie aus dem Jahr 2013 bewiesen werden. (Burgaud et al., 2013) Die Studie zeigt, dass sich bei einer Gruppe junger Pferde innerhalb von zehn Tagen nach einer osteopathischen Behandlung eine schnelle und deutliche Besserung der Symmetrie eingestellt hat. Die Besserung hielt mindestens 20 Tage an.
Ältere Pferde benötigten mehr Zeit, um ihr Gleichgewicht wieder herzustellen: hier zeigten sich die Effekte der Behandlung erst drei bis fünf Wochen nach der Behandlung. Diese Verzögerung sollte bei der Planung von Turnieren miteinbezogen werden.
Da sich Osteopathie beim Pferd sich auf die Haltung des Pferdes auswirkt, sollte man ihm einige Tage Zeit geben, um sich an sein neues Körpergefühl zu gewöhnen. Während dieses Zeitraums ist das Pferd anfällig für schwere Verletzungen. Aus diesem Grund rät der Osteopath meistens dazu, dass das Pferd nach einer Behandlung erstmal nur geführt und nicht geritten wird.
Es ist auch möglich, dass anschließend an die Behanldung ein Lahmen auftritt. Dadurch, dass die Kompensationsmechanismen der Muskeln beseitigt werden, können Schmerzen in den Gelenken auftreten. Diese sollten ebenfalls sachgemäß behandelt werden.
Ist ein osteopathischer Tiermediziner einem Tierosteopathen (nicht-veterinär) vorzuziehen?
Das liegt ganz bei euch.
Der Vorteil bei einem osteopathischen Tiermediziner liegt darin, dass er das gesamte Fachwissen und alle Hilfsmittel beider Berufe vereint. Er kann das Pferd und seinen Körper als Ganzes betrachten und es osteopathisch behandeln, aber auch Röntgen, MRT und Blutuntersuchungen aus der klassischen Tiermedizin zu Rate ziehen. So kann er je nach Fall individuell entscheiden, ob er mit für die spezifischen tierärztlichen oder osteopathischen Techniken arbeiten möchte.
Zusammenfassung
Bei der Osteopathie handelt es sich um eine manuelle Behandlungsform, deren Besonderheit darin liegt, dass sie den Körper als Ganzes betrachtet. Alle Strukturen sind durch Ketten miteinander verbunden. Dies ist wissenschaftlich bewiesen worden.
Bei osteopathischen Dysfunktionen selbst handelt es sich nicht um Verletzungen oder Schäden, sondern es liegen Blockaden oder eine Einschränkung der Mobilität vor. Diese werden in erster Linie durch eine Verkrampfung der Tiefenmuskulatur verursacht.
Der Osteopath betrachtet Kompensationsketten, die durch Traumata oder emotionale Schocks entstehen können. Die Wirksamkeit der Behandlung beim Pferd ist konnte bewiesen werden. Bei jungen Pferden zeigt sich die Osteopathie besonders wirksam.
Bis bald zu einem neuen Artikel,
Camille Saute
Mitbegründerin von Equisense
Biomechanikerin und Biomedizinische Ingenieurin
Sources bibliographiques
Burgaud, I. (2021). Ostéopathie chez le cheval de sport, pourquoi et comment Webconférence Ifce.
Lussot Kervern, I., & Salabert, M. (2021). Ostéopathie animale et vétérinaire : état des lieux. Webconférence Ifce.
Biau, S., & Bouloc, C. (2017). Prise en charge ostéopathique en équitation. Equipedia.
Burgaud, I., Biau, S., Aujol, K., & al (2013). Impacts d’un traitement ostéopathique sur la locomotion du cheval de sport en liberté. Pratique Vétérinaire Equine, 45(178), 45–53.
Elbrønd, V. S., & Schultz, R. M. (2021). Deep Myofascial Kinetic Lines in Horses, Comparative Dissection Studies Derived from Humans. Open Journal of Veterinary Medicine, 11(01), 14–40.
Was ist Osteopathie? (2021) https://www.osteopathie.de/was_ist_osteopathie. Verband der Osteopathen Deutschland e.V.