Pferde scheren – Ja oder Nein?
Gute Frage! Hier erfährst du wie Pferde sich an die kalte Jahreszeit anpassen und ob sie geschoren werden müssen oder nicht. Ich kann dir jetzt schon verraten, dass sie dabei wesentlich anpassungsfähiger sind als wir!
Mehr dazu: Winterdecke oder nicht – Was meint dein Pferd dazu?
Table des matières
Was ist das Problem mit der Kälte? ❄️☃️
Wenn es kalt ist, konzentriert unser Körper sich besonders darauf, unsere Körpertemperatur aufrecht zu erhalten. Bei einem Pferd liegt die Körpertemperatur in Ruhe zwischen 37,5°C und 38°C (bei zuvor trainierten Pferden oder bei Fohlen kann sie leicht darüber liegen) [1].
Wenn das Pferd sich hinsichtlich der Temperatur wohlfühlt, d. h. es sich in seiner thermoneutralen Zone befindet, dann kann sein Körper die Körpertemperatur problemlos aufrecht erhalten. Den Energieverbrauch in diesem Zustand, d. h. alle chemischen Reaktionen, die das Überleben eines Lebewesens möglich machen, bezeichnet man als Grundumsatz. Wenn wir diese thermoneutrale Zone verlassen, dann erhöht sich der Grundumsatz. Das Pferd verliert in diesem Fall mehr Energie (berechnet in Kcal). Um diese Energie aufzubringen, schöpft es aus den Fettreserven.
Hier einige interessante Zahlen:
Beim Menschen ist diese thermoneutrale Zone sehr klein (circa 25°C). Zum Glück haben wir Kleidung. 👕👖
Beim Pferd liegt sie eher zwischen 5°C und 25°C [2] (Beachte: bei einem nicht geschorenen Pferd).
Tipps: verlasse dich also nicht auf dein Temperaturempfinden, da dieses bei deinem Pferd nicht gleich ist. Dies bedeutet, dass sein Grundumsatz bei weniger als 5°C die Kälte (mit speziellen Methoden, die ich dir im Nachstehenden erklären werde) zu kompensieren versucht. Eine zweite wichtige Zahl: die Mindesttemperatur. Unterhalb dieser Temperatur kann das Pferd seine Körpertemperatur nicht mehr aufrechterhalten. Sie liegt bei -15°C bei einem nicht geschorenen Pferd und bei lediglich 5°C bei einem geschorenen Pferd! [2]
Fallen die Temperature noch tiefer, solltest das Pferd in jedem Fall eingedeckt werden.
Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle für das Kälteempfinden?
Die Kälteempfindlichkeit variiert stark von Pferd zu Pferd. Darüber hinaus gibt es verschiedene Einflussfaktoren, die das Kälteempfinden beeinflussen:
- Das Alter: die Mindesttemperatur bei einem Fohlen liegt beispielsweise bei circa 0°C. Auch ältere Pferd haben mehr Schwierigkeiten dabei, ihre Körpertemperatur zu regulieren.
- Die Morphologie (Struktur und Form): Fett ist ein besonders wirkungsvolles Isoliermittel. Man berechnet dabei das Verhältnis der Hautoberfläche geteilt durch das Volumen des Körpers. Dies gibt dir einen guten Anhaltspunkt, da die Wärmeproduktion proportional zum Volumen und dem Wärmeverlust über die Körperoberfläche ist. Je kleiner dieses Verhältnis, desto kälteresistenter ist dein Pferd.
- Das Fell: das scheint logisch. Vereinfacht gesagt: je länger das Fell, desto wärmer hält es.
Alle diese Faktoren beeinflussen die oben genannten Temperaturen (thermoneutrale Zone und Mindesttemperatur). Ein weiterer und mitunter einer der wichtigste Faktor ist die Anpassungszeit, d.h. die Zeit, die dein Pferd hat, sich an die Kälte anzupassen (das wird dir spätestens dann klar, wenn dein Pferd wie ein Wollknäuel aussieht). 🐻
Wie passt das Pferd sich an die Kälte an? 🧦🧤🧣
Schnelle Anpassungsmechanismen
Kaum werden die Nächte frischer, beginnt das Pferd sich gegen die Kälte zu schützen:
- Das Zittern: es handelt sich dabei um Muskelreflexe, bei denen die Muskeln sich unter Verbrennung von Energie (Zucker oder Fett) zusammenziehen. Dabei entsteht Wärme (der Grundumsatz vervier- oder verfünffacht sich). [2]
- Die Piloerektion: das Fell kräuselt sich, was dafür sorgt, dass eine Luftschicht zwischen dem Fell und der Haut entsteht, die als Barriere gegen die Winterkälte dient.
- Die Vasokonstriktion: die Blutgefäße ziehen sich zusammen, um den Blutfluss in den Arterien zu reduzieren. Hierbei wird das Blut vermehrt zu den Hauptorganen geleitet. Die Körperkerntemperatur bleibt also erhalten, indem die Temperatur der Gliedmaßen gesenkt wird (hallo kalte Hände!). Wenn du also merkst, dass dein Pferd kalte Gliedmaßen hat, ist das durchaus normal.
Langsame Anpassungsmechanismen
Pferde brauchen 10 bis 20 Tage, um sich an einen Temperaturabfall von 15°C zu gewöhnen [2]. In dieser Zeit sind sie besonders kälteanfällig. Du solltest es also vermeiden, dein Pferd mitten im Winter auf die Weide zu lassen, wenn es üblicherweise im Stall ist. Die Temperaturdifferenz ist zu groß. Du solltest es lieber im Herbst auf die Weide lassen. Wenn die Temperaturen ganz plötzlich fallen, kannst du ihm mit einer dünnen Decke dabei helfen, sich an die neue Temperatur anzupassen.
Seine Anpassungsmechanismen zeigen sich wie folgt:
- In seinem Verhalten: eine Verringerung der Aktivität, um Energie zu sparen. Damit einher geht eine verstärkte Nahrungsaufnahme. Das Pferd enthält einen Großteil seiner Energie aus der Nahrung. Beachte, dass wenn du es eindeckst und ihm gleichzeitig viel zu fressen gibst, es diese überschüssige Energie in Form von Körperfett ansetzt.
- An seinem Körper: Das Fell wird dichter und länger. Das Fett verteilt sich über den ganzen Körper, um eine optimale Kälteisolation zu gewährleisten.
Mehr zum Thema: Ist mein Pferd zu dick?
Scheren oder nicht, das ist hier die Frage 🤔
Aber wenn alle vom Scheren sprechen, wird das schon einen Sinn haben, oder?! Wir alle wissen, dass es besonders gefährlich ist, unser Pferd nach einer anstrengenden Trainingseinheit, bei der es viel geschwitzt hat, lange Zeit in die Box zu stellen. Das Ergebnis: Es kann sich erkälten. Aber was bedeutet das?
Das Verhältnis von Fell und Arbeit
Wenn das Pferd im Winter arbeitet, dann ist das so als wenn du 5 km mit einer dicken Daunenjacke joggst. Nicht einfach! Dir wird schnell zu warm. Um dir eine Idee zu geben: Wenn das Pferd vor Kälte zittert, dann vervier- oder verfünffacht es seinen Grundumsatz. Bei körperlicher Anstrengung sogar x25 [2]! Es schwitzt also vermehrt und kehrt häufig nassgeschwitzt in die Box zurück. Sein Fell verliert dabei seine isolierende Fähigkeit. Stell dir vor, du stehst mit nasser Kleidung draußen im Kalten…
Kann ein Pferd dadurch krank werden?
Wir sprechen in diesem Zusammenhang häufig zu unrecht davon, sich zu unterkühlen.
Studien an Menschen haben gezeigt, dass die Ursache dafür, dass wir im Winter häufiger krank werden, die längere Überlebensdauer der Viren bei Kälte ist. Viren können im Winter bis zu 10 Stunden [3] in der Luft bleiben, wohingegen sie im Sommer schnell absterben. Diese erhöhte Virenmenge in der Luft sorgt also dafür, dass wir im Winter häufiger krank werden. Wenn du diese Viren jedoch nicht antriffst, dann wirst du auch nicht krank. Du kannst also ganz ohne Bedenken im Winter nackt in deinem Garten herumspazieren. Solange du dir keinen Virus einfängst, wirst du auch nicht krank. Wenn du dir jedoch einen Virus einfängst, ob angezogen oder nicht, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass du krank wirst. Beim Pferd ist das genau das gleiche. Die Wahrscheinlichkeit, dass es krank wird, erhöht sich nicht nur durch kalte Temperaturen oder ein nasses Fell.
Zurück zu Frage also: scheren oder nicht scheren? Das hängt insbesondere von der Nutzung deines Pferdes ab. Beim Sport oder intensiven Training z. B. ist es für das Pferd eher unangenehm ungeschoren zu sein. Bei Pferden hingegen, die resistent sind und das ganze Jahr über draußen sind, ist es ratsam ihm seinen dicken Fellmantel zu lassen.
Alice Martinez
R&D-Ingenieurin bei Equisense