Ist Reiten wirklich ein Sport?
Welcher Reiter kennt es nicht: „Was machst du? Ach, du reitest? Aber das ist doch gar kein Sport, der Gaul macht doch die ganze Arbeit!” Oder: „Reiten ist kein Sport, man lässt sich doch nur durch die Gegend tragen!”
Gibt es überhaupt etwas noch Nervigeres als solche Aussagen? Aber damit ist jetzt Schluss! Wir zeigen dir, wie du beim nächsten Mal antworten kannst, und zwar mit objektiven Daten, die belegen, dass Reiten tatsächlich eine richtige Sportart ist.
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Eine kurze Definition
Laut Duden ist Sport definiert als „nach bestimmten Regeln (im Wettkampf) aus Freude an Bewegung und Spiel, zur körperlichen Ertüchtigung ausgeübte körperliche Betätigung” [1]. Der einzige Aspekt dieser Definition, der von dem ein oder anderen infrage gestellt werden könnte, ist die „körperliche Ertüchtigung”. Zunächst sollten wir also klären, was es damit überhaupt genau auf sich hat.
Also, was ist Ertüchtigung?
Generell gilt: Körperliche Ertüchtigung funktioniert nicht ohne Muskeln. Also, was ist ein Muskel? Tatsächlich gibt es verschiedene Arten von Muskeln: der Herzmuskel, glatte Muskeln (der Eingeweide, die wir nicht aktiv kontrollieren können) und die Skelettmuskeln (die uns Bewegungen ermöglichen). Letztere ist für uns in diesem Zusammenhang entscheidend, da dies die einzigen sind, die wir willkürlich kontrollieren können.
Um das Prinzip des Kraftaufwands wirklich verstehen zu können, muss man wissen, wie sich die Skelettmuskeln anspannen und entspannen. Deswegen möchten wir erstmal auf den Aufbau dieser Muskeln eingehen.
Diese Art von Muskeln bestehen auf mikroskopischer Ebene betrachtet aus Aktin- und Myosinfilamenten, die übereinander gleiten, um den Muskeln eine Kontraktion und somit eine Verkürzung zu ermöglichen.
Dabei gilt wie immer: Wo eine Bewegung stattfindet, wird Energie verbraucht. In diesem Fall wird diese Energie von ATP bereitgestellt, um den Muskel eine dauerhafte Leistung zu ermöglichen.
Mehr zu den verschiedenen Muskelkontraktionen: Muskelaufbau beim Pferd
Stoffwechselwege
Je nach Anstrengung und deren Dauer wird das ATP nicht auf die gleiche Art und Weise bereitgestellt. Es gibt 3 verschiedene Arten der Energiebereitstellung durch ATP-Gewinnung:
- Der anaerob alactacide Stoffwechselweg ist vor allem für kurze, intensive Bewegungen zuständig (Sprünge oder die ersten Sekunden eines Sprints). Es werden Reserven des Energieträgers verwendet, der sich nur zu geringen Mengen in den Muskelzellen befindet (und daher nur für etwa 7 Sekunden ausreichen). Das dabei entstehende Produkt wird zur Resynthese des Energieträgers verwendet. Bei dieser Art Stoffwechselweg wird kein Sauerstoff benötigt, daher der Begriff „anaerob”
- Der anaerob lactacide Stoffwechselweg ist vor allem für relativ kurze (maximal 2 Minuten), jedoch sehr anstrengende Bewegungen entscheidend. Die Muskeln benötigen ATP, um die körperliche Betätigung weiter ausüben zu können (7 Sekunden bis 2 Minuten). Das ATP wird mithilfe von Glukose gebildet, das sich im Blut befindet. Auch bei diesem Stoffwechselweg wird kein Sauerstoff benötigt, allerdings wird Lactat (Milchsäure) gebildet, das oft die Ursache für Krämpfe ist.
- Der aerobe Stoffwechselweg ist für Betätigung, die über einen längeren Zeitraum andauert, entscheidend (ab einer Dauer von 20 Minuten) und benötigt zur Synthese von ATP Sauerstoff und Kohlenhydrate, nämlich eine spezielle Form der Glucose, die in der Leber gespeichert wird: das Glykogen. Ab 40 Minuten wird das ATP sogar aus Fett hergestellt (deshalb sind Marathonläufer und Pferde, die beim Distanzreiten eingesetzt werden, also so fit)! Das Produkt dieser Verstoffwechselung sind Wasser und Kohlenstoffdioxid (CO2). Das Ergebnis: Wir schwitzen und atmen schwerer bzw. schneller.
Um das Ganze etwas anschaulicher zu machen, hier nochmal alles in einer Grafik zusammengefasst:
Nach 2 Minuten benötigt der Organismus also mehr Sauerstoff, um die Betätigung weiter ausüben zu können. Je intensiver diese ist, desto größer die Menge an benötigtem Sauerstoff. Sie wird als VO2 bezeichnet und in L/min gemessen. Mit ihrer Hilfe lässt sich die Intensität körperlicher Betätigung messen. Je größer die Menge an benötigtem Sauerstoff, (das äußert sich durch „schweres” Atmen), desto intensiver die Betätigung. Das VO2max (also die maximale Sauerstoffaufnahme) kann außerdem Aufschluss über die maximale Leistung geben, die ein Körper aufbringen kann.
Um die Intensität körperlicher Betätigung beurteilen zu können, vergleicht man also den VO2-Wert des Sportlers mit seinem VO2max-Wert. Dafür gibt man die erbrachte Leistung als Prozentanteil des VO2max an. Das heißt: Liegt der Wert beim Training bei 50 % des VO2max, dann liegt die Anstrengung quasi bei der Hälfte von dem, was theoretisch möglich wäre. Bei einem Wert von 80 % geht man schon ziemlich an seine Grenzen. Das Gute dabei ist aber: Indem man fleißig trainiert, kann man seinen VO2max-Wert steigern!
Und wie sieht das Ganze beim Reiten aus?
Fangen wir mal mit dem Springreiten an. Im Rahmen einer Studie wurden bei regionalen Prüfungen Reiter untersucht, die 7 Stunden pro Tag (ja, pro Tag!) reiten. Das Ergebnis: Bei einem Parcours aus 12 Hindernissen mit einer Höhe von 1,10 m erreichten die Reiter Werte von 75 % ihres VO2max [4]. Dieses Ergebnis sollte auch den Letzten überzeugen: Reiten ist ein Sport.
Kalkuliert man bei diesem Ergebnis noch zusätzlich den Stress und die Aufregung, die bei einem Turnier herrschen, mit ein, dann kann schnell mal der Maximalwert erreicht werden. Den Muskeln wird also in diesem Fall eventuell nicht genug Sauerstoff bereitgestellt und zusätzlich sind die Entscheidungen und Einschätzungen des Reiters nicht so durchdacht wie sonst. Das kann schnell die Anzahl der Fehler in die Höhe treiben.
Um seine Leistung dauerhaft zu verbessern, sollte man also den VO2max-Wert steigern. Dazu kommen wir jetzt.
Wie kann ich meine körperliche Leistung verbessern?
Laut dem französischen Institut für Gesundheit und Forschung INSERM (2008) ist es zur Verbesserung der körperlichen Fitness, also zur Steigerung des VO2max, notwendig, beim Training einen Wert von über 60 % über eine Dauer von 30 bis 45 Minuten zu erreichen, und das 3 bis 5 Mal pro Woche.
Reitet man also nur im Trab oder im Galopp (und trainiert dabei auch ordentlich), dann erreicht man diesen Wert von 60 % des VO2max. Dazu müsste man 3 bis 5 Mal pro Woche 30 bis 45 Minuten traben und galoppieren. Der entscheidende Vorteil ist, dass du mithilfe deines Equisense Motion genau weißt, wie viel Zeit du in welcher Gangart verbracht hast. So kannst du ganz einfach nachvollziehen, ob du die 60 %-Marke erreicht hast oder nicht. Es ist allerdings schwierig, diesen Wert zu erreichen, wenn man nur ein Pferd zur Verfügung hat. Normalerweise wird dieser Wert nur von professionellen Reitern erreicht, die mehrere Pferde pro Tag bewegen. Für all diejenigen, die sich dennoch ausgiebig auf die nächste Turniersaison vorbereiten möchten, empfiehlt es sich, nicht nur im Sattel zu trainieren, sondern auch noch eine weitere Sportart auszuüben, zum Beispiel Joggen, Schwimmen, Fahrradfahren oder Springseilspringen!
Mehr dazu: Ausdauertraining beim Pferd
Woher weiß ich, welche Intensität die richtige ist?
Wie man sehen kann, ist die Messung des VO2 gar nicht mal so einfach. Die Messung der Herzfrequenz ist dafür wesentlich simpler. Die gute Nachricht: Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem VO2-Wert und der Herzfrequenz:
- die maximale Herzfrequenz (HFmax) entspricht einem Sauerstoffverbrauch von 100 % (also 100 % des VO2max)
- die Herzfrequenz im Ruhezustand entspricht einem Sauerstoffverbrauch von 0 % (also 0 % des VO2max)
So kannst du den Prozentsatz des VO2max deiner Betätigung berechnen:
- zunächst ziehst du dein Alter von der maximalen Herzfrequenz (220) ab
- messe dann deine Herzfrequenz in Ruhe direkt morgens vor dem Aufstehen (also noch im Liegen)
Anschließend kannst du dann mit der folgenden Formel den Prozentsatz des VO2max berechnen:
% VO2max = (HF bei Betätigung – HF Ruhe)/(HF max – HF Ruhe) [6]
Ich z. B. bin 24 Jahre alt, meine maximale Herzfrequenz liegt also bei 196 Schlägen pro Minute (bpm). Meine Herzfrequenz im Ruhezustand liegt bei 60 bpm.
VO2 | 0 | 10 | 20 | 30 | 40 | 50 | 60 | 70 | 80 | 90 | 100 |
HF bei Aktivität (bpm) | 60 | 74 | 87 | 101 | 114 | 128 | 142 | 155 | 169 | 182 | 196 |
Wenn ich also zum Beispiel jogge, um meine Ausdauer zu verbessern, dann müsste ich 30 bis 40 Minuten so schnell laufen, dass meine Herzfrequenz zwischen 142 und 169 bpm liegt, und das 3 bis 5 Mal pro Woche. Erreiche ich diese Werte nicht, wird sich meine Ausdauer nicht maßgeblich verbessern. Daher ist es ratsam, das Lauftraining an die Herzfrequenz anzupassen.
Hält man diese Werte nicht ein, dann sieht das Ergebnis aus wie in der folgenden Abbildung, die mein Lauftraining zeigt. Ich hatte Schwierigkeiten, durchzulaufen und konnte am Ende nicht mehr. Daher fällt die Kurve gegen Ende steil ab.
Wie berechnet man die verbrauchte Energie?
Mithilfe des VO2-Wertes lässt sich auch die verbrauchte Energie berechnen. Ein Liter vom Organismus verbrauchter Sauerstoff entspricht dabei 4,83 kcal [4]. Auf diese Weise kann man also den Energieverbrauch verschiedener Sportarten miteinander vergleichen.
Sport | Zeit (min) | Verbrauch |
Reiten – Springen [4] | 20 | 200 kcal |
Reiten – Trab (Aussitzen) und Galopp [4] | 30 | 200 kcal |
Schwimmen (~2 km/h) [7] | 60 | 400 kcal |
Joggen (bei 60 % des VO2max) [4] | 60 | 600 kcal |
Rechnet man diese Werte alle auf die gleiche Dauer um, dann stellt man fest, dass Springreiten mit gleichen körperlichen Anstrengung verbunden ist wie Joggen. Hier ist also der endgültige Beweis: Reiten ist ein Sport!
Falls du jetzt richtig motiviert bist: Muskelaufbau für Faule Reiter
Alice Martinez & Camille Saute
R&D-Ingenieurinnen bei Equisense