10 Prinzipien der Verhaltensforschung, die jeder Reiter kennen sollte
Du hast dich schon öfter gefragt, welche eigentlich die beste Methode ist, um deinem Pferd etwas Neues beizubringen? Dann solltest du diesen Artikel lesen, denn heute beschäftigen wir uns mit dem Thema Lerntheorien.
Ich selbst habe das Konzept der Lerntheorien erst recht spät für mich entdeckt, aber es hat den Umgang mit meiner Stute grundlegend verändert. Ich habe endlich verstanden, was in ihrem Kopf vor sich geht. Wenn man sein Pferd besser versteht und weiß, warum es in einer Situation auf bestimmte Art und Weise reagiert, was seine Motive sind und warum es manchmal nicht versteht, was man von ihm will, kann man sein eigenes Verhalten anpassen, und so viele Probleme ganz einfach lösen. Gleichzeitig kann man dieses Verständnis aber auch dazu nutzen, seinem Pferd ganz einfach Neues beizubringen!
Table des matières
1. Was hat Reiten mit Verhaltensforschung zu tun?
Das ist nicht richtig, denn jeder Reiter sollte versuchen, das Verhalten seines Pferdes zu verstehen.
Alles, was wir mit unseren Pferden machopeen, basiert auf Lerntheorien und das unabhängig von unserer Disziplin und dem Alter des Pferdes. Sei es das Andrücken der Schenkel, das Führen am Strick oder das Kommando, nach dem Hindernis nach links zu laufen. All dies basiert auf Lerntheorien und damit auch auf der Verhaltensforschung.
Selbst wenn du dein Pferd nicht selbst ausbildest oder du dich nicht für das Thema Verhaltensforschung interessierst: Jeder Reiter sollte wissen, wie ein Pferd lernt und wie es versteht. Nur so kann man präzise, effektive Hilfen geben und die richtigen Signale senden. Werden die Hilfen nicht korrekt gegeben, führt das Pferd nicht die gewünschte Aktion aus und dann wird es schnell problematisch, denn oft wird das Pferd dann bestraft, obwohl es einfach nur nicht verstanden hat, was es tun soll. Dies kann dazu führen, dass das Pferd ängstlich oder aggressiv wird.
Wir Reiter machen viele Fehler, aber oft wissen wir es noch nicht einmal! Wir wissen einfach nicht genug darüber, wie Pferde funktionieren und wie sie lernen. Reiter sollten zu diesem Thema viel besser informiert sein, denn so ließen sich viele Probleme und Missverständnisse ganz einfach vermeiden.
All diejenigen, die der englischen Sprache mächtig sind, sollten sich unbedingt dieses Video anschauen. Andy Booth demonstriert hier einige Prinzipien des Horsemanship, die jeden überzeugen dürften.
2. Operante Konditionierung: das Prinzip der Verstärkung
Bei der operanten Konditionierung bringt man dem Pferd bei, eine oder mehrere Kommandos mit einer bestimmten Reaktion seinerseits in Verbindung zu bringen. Dabei gibt es zwei wesentliche Ansätze: die positive und die negative Verstärkung.
Positiv und negativ bedeutet in diesem Fall nicht gut oder schlecht, sondern das Hinzufügen bzw. Entfernen eines Reizes. Da Pferde nun mal nicht sprechen können (zumindest nicht wie wir Menschen), muss man ihnen eine „universelle” Sprache beibringen, um ihnen verständlich machen zu können, ob eine ihrer Aktionen gewünscht ist oder eben nicht.
Möchte man seinem Pferd etwas Neues beibringen, hat man also zwei Möglichkeiten:
- Man lässt das Pferd eine Aktion durchführen und gibt ihm dann eine Belohnung: „Wenn ich den Eimer umstoße, liegt darunter eine Karotte: das ist gut! Das werde ich nochmal machen, vielleicht bekomme ich dann wieder eine Karotte.” → positive Verstärkung (ein angenehmer Reiz, die Karotte, wird hinzugefügt) 🥕🥕
- Man möchte, dass das Pferd eine Aktion durchführt und lässt es so lange in einer ihm unangenehmen Situation, bis es die gewünschte Aktion, die diese Situation auflöst, umsetzt: „Es gefällt mir nicht, wenn sie ihre Beine an mich drückt. Wenn ich antrabe, hört sie aber sofort damit auf: das ist gut!” → negative Verstärkung (ein unangenehmer Reiz, der Druck der Beine, wird entfernt)
Daran sieht man, dass der klassische Reitsport quasi vollständig auf dem Prinzip der negativen Verstärkung basiert. Wir drücken die Beine ans Pferd, wenn das Pferd vorwärts gehen soll, wir erhöhen die Spannung auf den Zügeln, wenn es anhalten soll, wir ziehen an der Longe, wir bringen Hilfszügel an … Dabei kann die negative Verstärkung beim Pferd Stress auslösen, da es manchmal nicht versteht, was von ihm erwartet wird. Tatsächlich trainieren wir andere Tierarten häufiger mithilfe positiver Verstärkung, vor allem durch die Belohnung mit Futter, die in der Regel die effektivste Methode ist.
Dem Pferd könnte man mithilfe von Lerntheorien z. B. beibringen, um eine Decke zu bitten, wenn ihm kalt ist!
Mehr zum Thema: Will dein Pferd eine Decke oder nicht?
3. Wie sieht es mit der Bestrafung aus?
Auch die Bestrafung ist Teil der operanten Konditionierung. Man bestraft das Pferd, wenn man die Wahrscheinlichkeit, dass ein Pferd eine bestimmte Handlung wiederholt oder deren Intensität senken möchte [2].
Auch bei der Bestrafung unterscheidet man zwischen „positiv” und „negativ”:
- Man enthält dem Pferd eine Belohnung vor, weil es sich nicht gut benimmt: „Wenn es Essenszeit ist und ich mit meinen Hufen scharre, dann geben sie mir nichts zu essen: das ist nicht gut.” → negative Bestrafung (ein angenehmer Reiz, das Futter, wird vorenthalten oder entzogen)
- man setzt das Pferd einer ihm unangenehmen Situation aus, um ein unerwünschtes Verhalten zu bestrafen: „Wenn ich schnappe, dann kriege ich einen Klaps auf die Nase, das ist nicht gut.” → positive Bestrafung (ein unangenehmer Reiz, der Klaps, wird hinzugefügt) ✋
Das Problem bei der Bestrafung, vor allem der positiven, ist das Timing. Bringt das Pferd sein Verhalten nicht mit der Bestrafung in Verbindung, dann kann es nicht verstehen, warum es bestraft wurde. Die meisten von uns Reitern haben leider selten das richtige Timing. [1]
Das richtige Timing ist grundlegend
Ein klassisches Beispiel ist, wenn das Pferd ein Hindernis verweigert. Das Pferd bleibt stehen, der Reiter positioniert sich wieder richtig im Sattel, weil er etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist, galoppiert an – und bestraft dann das Pferd mit einem Gertenhieb. So geschieht das leider sehr häufig. Das Problem dabei: Das Pferd denkt, es sei für das Reagieren auf die Galopphilfe oder für das Zurückkehren in einen ruhigen Zustand bestraft worden! Die Zeit zwischen der nicht erwünschten Aktion, der Verweigerung, und der Reaktion, der Bestrafung, beträgt mehrere Sekunden. Das ist zu lang. Das Pferd bringt diese beiden Ereignisse nicht mehr miteinander in Verbindung. Es versteht nicht, warum es bestraft wird, wodurch es wiederum gestresst reagiert.
In diesem Fall ist es besser, nicht mit Bestrafungen zu arbeiten.
Dabei bestrafen wir manchmal sogar, ohne dass wir uns dessen wirklich bewusst sind. Das ist z. B. beim Springen der Fall, es wirkt oft auf eine Menge Druck auf das Pferdemaul. Das Pferd denkt, es wird fürs Springen bestraft, daher will es dies logischerweise nicht wiederholen.
Interessant dazu: Wie verbessere ich mein Zügelmaß?
Möchte man trotzdem mit Bestrafung arbeiten, sollte man unbedingt auf das richtige Timing achten, man muss schnell genug sein und man muss sofort wieder Ruhe ausstrahlen, damit das Pferd keine Angst vor seinem Reiter entwickelt. Vor allem aber sollte das Ausmaß der Bestrafung angemessen sein. Hat man keine Zeit, das Pferd zu bestrafen, wie im Beispiel des Springreiters oben, dann ist es besser, gar nichts zu tun, das Hindernis erneut anzureiten und dann bei der Landung mit positiver Verstärkung zu arbeiten (Kraulen am Widerrist, Stimmhilfe, Leckerli usw.).
4. Alles eine Frage des Timings
Sei es bei der Bestrafung oder wenn man seinem Pferd etwas Neues beibringen möchte: der richtige Zeitpunkt ist entscheidend, denn zu spät ist zu spät.
Denn für jede Art der Verstärkung gilt: Erfolgt sie nicht unmittelbar nach der Aktion des Pferdes, dann bringt es die beiden Ereignisse nicht korrekt miteinander in Verbindung. Es bringt überhaupt nichts, das Pferd 40 Minuten nachdem es etwas ausgefressen hat zu tadeln. Ein weniger übertriebenes Beispiel: Stell dir vor, du drückst deine Beine gegen den Bauch des Pferdes, damit es antrabt. Das Pferd trabt also wie gewollt an, aber der Schenkeldruck wird nicht sofort oder gar nicht aufgehoben. Es kann also nicht verstehen, ob sein Verhalten gut war oder nicht, und weiß daher nicht, wie es beim nächsten Mal reagieren soll. Das gleiche gilt für das Beispiel mit dem Eimer: Gibt man dem Pferd 2 Stunden nachdem es den Eimer umgestoßen hat seine Karotte, dann kann das Pferd keinen Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen erkennen.
In der Theorie ist das natürlich alles sehr einleuchtend und logisch, auch wenn die Beispiele zu Veranschaulichungszwecken teilweise etwas übertrieben sind. In der Praxis hingegen sieht das ganz anders aus. Viele Reiter halten das richtige Timing nicht ein und das noch nicht einmal mit Absicht. Wir drücken die ganze Zeit unsere Beine gegen den Pferdebauch (wir lösen die unangenehme Situation also nicht in dem Moment auf, in dem das Pferd die gewünschte Reaktion zeigt), wir stupsen das Pferd bei jedem Schritt mit der Ferse an, ohne es überhaupt zu merken, wir wirken zu viel mit unserem Sitz auf das Pferd ein, wir halten die Zügel zu kurz und üben so einen konstanten Druck auf das Pferdemaul aus … All das sind Beispiele für Gewohnheiten, die das Pferd und sein Lernverhalten beeinflussen, ohne dass wir uns dessen wirklich bewusst sind. Das Timing ist hier oft sehr schlecht, da wir bspw. den Schenkeldruck nicht sofort oder sogar überhaupt nicht zurücknehmen, oder weil wir nicht schnell genug belohnen.
Würden wir unsere Beine konsequent jedes Mal vom Pferd lösen, sobald es vorwärts geht, würden unsere Pferde mit Sicherheit alle viel fleißiger laufen und sensibler auf die Schenkelhilfen reagieren.
5. 10 Prinzipien der Verhaltensforschung, die jeder Reiter kennen sollte
Zum Schluss die 10 wichtigsten Prinzipien der Lerntheorien nach ISES (International Society for Equitation Science). Diese Grundsätze wurden von Spezialisten etabliert und sollen unsere Trainingsmethoden verbessern, damit unsere Pferde gut ausgebildet und gehorsam sind, sich dabei aber gleichzeitig wohlfühlen [2].
#1 – Respektiere die Verhaltensmuster und die kognitiven Fähigkeiten des Pferdes
Die Natur des Pferdes nicht zu respektieren und es dazu bringen zu wollen, natürliche Verhaltensmuster abzustellen, löst beim Pferd oft Stress aus und verhindert somit jegliche Lernvorgänge. Dies ist sehr häufig der Fall bei Pferden, die isoliert gehalten werden und nie Kontakt zu ihren Artgenossen haben. Pferde, die als „nicht umgänglich” bezeichnet werden, sind in der Regel diejenigen, die isoliert gehalten werden. Das sind keine guten Bedingungen, um einem Pferd etwas beizubringen.
#2 – Wende die Lerntheorien richtig an
Wende positive und negative Verstärkung im richtigen Moment an und bestrafe das Tier nicht, wenn es nicht unbedingt nötig ist.
#3 – Gib einfach zu verstehende und zu unterscheidende Signale
Stelle dir diese simplen Fragen: War mein Kommando eindeutig und unverwechselbar? Hätte mein Pferd es verstehen können? Habe ich eine korrekte Hilfe gegeben? Wenn das Pferd nicht das tut, was wir von ihm möchten, dann liegt das meistens daran, dass es nicht verstanden hat, was es tun soll, und nicht, weil es eine Aktion nicht ausführen möchte.
#4 – Bringe Neues Schritt für Schritt bei
Alles zu seiner Zeit! „Viel fordern, mit wenig zufrieden sein, viel loben”. Möchte man seinem Pferd z. B. Traversalen beibringen, dann kann man nicht von ihm erwarten, dass es die Traversalen beim ersten Versuch perfekt umsetzt. Daher sollte man es bspw. bereits belohnen, wenn es Schritte in die richtige Richtung macht (wortwörtlich) und seinen Kopf korrekt hält.
#5 – Sende nicht zu viele Signale auf einmal
Erhält das Pferd 10 Signale auf einmal, führt das zwangsläufig zu Verständnisproblemen und einer Desensibilisierung. Man sollte besser ein Signal nach dem anderen senden, das macht es dem Pferd wesentlich einfacher, zu verstehen, was von ihm verlangt wird.
#6 – Lege eine Reaktion pro Signal fest
Jedem Signal sollte eine Reaktion zugeordnet sein. Wenn man die Zügel annimmt und mal erwartet, dass das Pferd anhält, mal dass einen Rückwärtssalto macht, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass es die gewünschte Reaktion ausführt, nicht sehr hoch.
#7 – Verbinde Kommandos mit bestimmten Situationen
Die gleichen Signale müssen immer am selben Ort, in der gleichen Position und im selben Kontext gesendet werden. Hat dein Pferd an der Longe gelernt, anzugaloppieren, wenn du das Wort „Galopp” sagst, dann kannst du trotzdem nicht die gleiche Reaktion erwarten, wenn es am Putzplatz angebunden ist. Vor allem sollte es in diesem Fall auf keinen Fall bestraft werden, wenn es die gewünschte Aktion nicht umsetzt!
#8 – Arbeite dein Pferd mit der Impulsreitweise
Das ist das Prinzip des Pferdes, das sich selbst trägt. Das Pferd soll autonom sein. Man soll nicht alle drei Sekunden die gleiche Hilfe geben, dadurch wird das Pferd nur desensibilisiert. Übt man mit den Schenkeln Druck auf das Pferd aus und es trabt an, dann soll das Pferd weiter traben, bis es aufgefordert wird, die Gangart zu wechseln.
#9 – Nutze den Fluchttrieb des Pferdes nicht aus
„Man sollte sich keiner Methoden bedienen, die beim Pferd absichtlich Angst auslösen, denn Angst wirkt sich negativ auf das Lernvermögen und das Wohlergehen des Pferdes aus.”
#10 – Arbeite nur mit dem Pferd, wenn es ruhig ist
Mit einem gestressten Pferd zu arbeiten bringt überhaupt nichts, da das Pferd dann nicht differenzieren kann, was für es angenehm ist und was nicht. Ist das Pferd gestresst, ist auch das beste Training nicht wirklich effektiv.
Das sind also die 10 Prinzipien der Verhaltensforschung, die absolut jeder Reiter kennen und beherzigen sollte. Zeigt man dem Pferd nicht die richtige Reaktion im richtigen Moment, löst das beim Tier oft Stress aus. Ähnlich wie bei Kindern ist spielerisches Lernen sehr effektiv, es bringt nichts das Pferd unter Druck zu setzen.
Bis zum nächsten Artikel,
Camille Saute,
R&D-Managerin bei Equisense
Quellen
[1] L. Lansade, M. Vidament, A. C. Grison, and H. Roche, “Principes d’apprentissage,” Equipaedia, 2015. [Online]. Available: http://www.haras-nationaux.fr/information/accueil-equipaedia/comportement-ethologie-bien-etre/cheval-et-vie-domestique/principes-dapprentissage.html. [Letzter Zugriff: 10. Juli 2017].
[2] A. N. McLean, P. D. McGreevy, and J. W. Christensen, “Principles of Learning Theory in Equitation,” International Society for Equitation Science. [Online]. Available: http://equitationscience.com/equitation/principles-of-learning-thoery-in-equitation. [Letzter Zugriff: 10. Juli 2017].
Weitere Informationen:
Ich habe schon fast alle Artikel gelesen und mag sie alle, da sie nicht 0-8-15 sind! Besonders die Anatomie und Biomechanik lässt sich gut lesen und verstehen! Dickes Lob und natürlich: Vielen Dank!!
Hallo Jennifer,
Vielen Dank für Ihren Kommentar, wir freuen uns sehr über das positive Feedback! Anregungen und Fragen zu den Blog-Artikeln sind jederzeit willkommen.
Liebe Grüße
Sina
– Equisense –