Das Absetzen des Fohlens – geht es nicht auch anders?
Das Absetzen des Fohlens von der Mutter ist ein Thema, das immer wieder aufgegriffen und diskutiert wird. So z. B. auch beim alljährlichen „Journée de la Recherche Equine”, also quasi dem „Tag der Pferdeforschung” in Paris.
Dort wurde zum dritten Jahr in Folgen darüber berichtet, dass das Absetzen des Fohlens von der Mutter beim Jungtier zu erheblichem Stress führen kann.
Wir stellen uns also zwangsläufig die Frage, ob das Absetzen tatsächlich schlecht für das Fohlen ist? Ist es wirklich notwendig? Und gibt es artgerechtere Alternativen?
An dieser Stelle möchte ich mich bei Séverine Henry bedanken. Sie ist Tierverhaltensforscherin an der Universität Rennes 1 in Frankreich und macht mit ihren renommierten Publikationen immer wieder von sich zu sprechen. Sie hat mir ihre Fachkenntnisse für diesen Artikel zur Verfügung gestellt und mir somit beim Verfassen dieses Artikels geholfen.
Table des matières
Das Absetzen: enormer Stress für Mutter und Fohlen 🙁
An vielen Gestüten ist es üblich, das Fohlen in einem Alter von 6 Monaten vom Muttertier zu trennen, manchmal sogar noch früher. Meistens werden die Tiere dabei nicht auf die Trennung vorbereitet.
Dabei ist das Absetzen von der Mutter ein sehr wichtiger Moment im Leben eines jungen Pferdes. Bei einer nicht artgerechten Durchführung kann es daher beim Fohlen zu folgenden Verhaltensmustern kommen:
- 10 % der Fohlen zeigen während des Monats, der dem Absetzen folgt, Verhaltensauffälligkeiten im Bereich des Mauls (es lässt das Maul geöffnet, schlägt die Zähne aufeinander …).
- 30 % der Fohlen nagen während der 3 Monate, die dem Absetzen folgen, an ihrer Box.
- 10 % der Fohlen zeigen während der 10 Monate, die dem Absetzen folgen, auffällige Bewegungsmuster (rhythmisches Hin- und Herbewegen des Kopfes, des Halses, der Vor- oder der Hinterhand; panisches Umherirren).
Die Gründe, wegen derer Fohlen bereits im Alter von 6 Monaten abgesetzt werden, sind meistens Gewohnheit, Tradition oder sogar falsche Annahmen ohne böse Absichten. In der Natur jedoch läuft das Ganze eigentlich ganz anders ab…
Wie verläuft das Absetzen in der Natur? 🧐
In der Natur geschieht das Absetze in einem Alter zwischen 9 und 11 Monaten. Dies entspricht oft dem Moment, in dem die Stute das nächste Fohlen empfängt. Allerdings werden Mutter- und Jungtier in der Natur nicht von einem Tag auf den anderen voneinander getrennt. Das Fohlen stellt einfach das Saugen ein, wird aber noch mehrere Jahre über bei seiner Mutter bleiben.
Es handelt sich also quasi zunächst einmal nur um eine Nahrungsumstellung des Fohlens, nicht um die Trennung der beiden Tiere.
Dabei stellt sich die Ernährung des Fohlens nach und nach von der Muttermilch auf Gräser usw. um. Das Fohlen trinkt also im Laufe der Zeit immer weniger Muttermilch (ab dem 8. Monat nur noch etwa alle zwei Stunden) und nimmt immer mehr feste Nahrung zu sich. Manche Muttertiere weisen das Fohlen mit der Zeit, wenn es versucht zu säugen, zurück, andere lassen es weiter gewähren.
Aber auch der soziale Aspekt ist wichtig: Das Fohlen entfernt sich räumlich immer weiter von seiner Mutter, 60 bis 80 % der Zeit ist es weiter als 5 m von ihr entfernt. Allerdings bleibt die Mutter 2 bis 3 Jahre lang das bevorzugte Herdenmitglied des jungen Pferdes und sie gibt ihm weiterhin Sicherheit. Im Alter von einem Jahr entfernt sich das Jungtier ⅔ seiner Zeit nicht mehr als 45 m von seiner Mutter und bleibt weiterhin, auch wenn noch Kontakt zu vielen weiteren Pferden besteht, eines der liebsten Herdenmitglieder des jungen Pferdes.
Der Zeitpunkt des Absetzens: wichtige Faktoren
Auch wenn das durchschnittliche Alter des Fohlens beim Absetzen 10 Monate beträgt, so kann es doch zu beträchtlichen Abweichungen kommen:
- Erwartet die Stute kein weiteres Fohlen oder verliert sie dieses, wird sie das vorherige Fohlen länger säugen (bis zu 18 Monate)
- hat die Stute zwei Fohlen direkt hintereinander, dann wird das zweite nach etwa 8 bis 9 Monaten abgestillt
In der Natur kommt es also außer in Ausnahmefällen nicht vor, dass ein Fohlen bereits nach 6 Monaten abgesetzt wird.
Ist das Modell der Natur auf unsere „Hauspferde” überhaupt anwendbar?
Wahrscheinlich denkst du gerade „Ja, ABER … in den richtigen Gestüten in denen hochleistungsfähige Sportpferde herangezüchtet werden, da ist so ein spätes Absetzen doch nie im Leben umsetzbar”.
Gründe für ein frühzeitig herbeigeführtes Absetzen
Tatsächlich scheint es, als geschehe das vom Menschen herbeigeführte Absetzen eher aus Gründen der „Vorsicht” als aus „praktischen” Gründen heraus.
Oft angebrachte Argumente sind:
- Der gesundheitliche Zustand der Mutter soll sich nicht verschlechtern, vor allem, wenn sie bald wieder gedeckt werden soll.
- Das Fohlen soll genug feste Nahrung zu sich nehmen, ohne dass die Mutter es daran hindert.
- Das Fohlen soll früh verkauft werden.
- Die Arbeit mit der Mutter soll früh wieder aufgenommen werden
- Die Erziehung des Fohlens soll vereinfacht werden.
- Es soll vermieden werden, dass das Fohlen seine Mutter oder andere Stuten zu decken versucht (das kommt tatsächlich vor, Pferde sind mit dem Konzept Inzucht nicht vertraut …). 🤢
Auch interessant: Warum haben Stuten keine Regel?
Mögliche Ansätze für ein späteres Absetzen
Aber auch bei Sportpferden lassen sich einige Maßnahmen ergreifen, um das Absetzen für das Fohlen angenehmer zu gestalten. Dazu braucht es lediglich ein paar Tricks und Kniffe. Man sollte z. B. separate Futtertröge bereitstellen, die Stute sollte jederzeit Zugang zu Raufutter haben, damit sie nicht abmagert und Hengstfohlen sollte man, falls nötig, kastrieren lassen.
Besonders bei der Erziehung des Fohlens bringt der bestehende Kontakt zur Mutter viele Vorteile mit sich. Man kann dem Fohlen am Beispiel der Mutter die richtigen Reaktionen auf Interaktionen mit dem Menschen zeigen. Oft wird die Arbeit mit der Stute sogar mit dem Fohlen zusammen wieder aufgenommen.
Tipps einer Züchterin, die ein sanfteres Absetzen einsetzt
Sophie Bolze züchtet im Gestüt Aluinn nahe Orléans, Frankreich, Connemara-Ponys. Ihre Ponys sind sehr bekannt: Podeenagh Aluinn wurde bei den Europameisterschaften in der Vielseitigkeit zweimal mit Gold ausgezeichnet und Twinkle Toe Aluinn holte erst vor Kurzem beim Nations Cup im Springreiten in Fontainebleau Gold.
„Meine Fohlen werden jetzt schon seit längerer Zeit progressiv abgesetzt und nicht abrupt nach 6 Monaten. Das ist meiner Meinung nach nämlich unnötiger Stress für alle Beteiligten. Ich gewöhne das Fohlen nach und nach daran, von seiner Mutter getrennt zu sein. Dazu stelle ich die beiden bspw. 10 Minuten pro Tag in benachbarte Boxen. Durch die Gitterstäbe können sie sich noch sehen und wissen, dass der andere da ist. Tagsüber stelle ich die Fohlen ohne ihre Mutter, dafür jedoch mit anderen Stuten oder älteren Pferden, auf den Paddock. Das gibt den Fohlen am Anfang Sicherheit.
Die Stuten säugen ihre Fohlen oft sehr lange, selbst wenn sie bereits das nächste Fohlen erwarten. Ja, das lässt die Kosten fürs Futter ein weniger steigen, da die Stute sowohl wegen ihrer Trächtigkeit als auch für das Säugen des Fohlens mehr Futter benötigt. Aber auf lange Sicht betrachtet lohnt sich diese Investition allemal, denn meine Ponys haben keinerlei gesundheitlichen Probleme.
Die Erziehung erfolgt mithilfe der Mutter
Zu Beginn der Erziehung des Fohlens nehme ich die Mutter zur Hilfe. Ich zeige an ihrem Beispiel das Führen, das Abbrausen, ich führe sie ins Wasser, zeige ihnen die Reithalle und den Waschplatz. Überall ist die Mutter dabei. Ich habe sehr gute Erfahrungen mit dieser Methode gemacht, es geht schneller und auch später beim Einreiten machen sich die positiven Effekte bemerkbar.”
All diejenigen, die der französischen Sprache mächtig sind, können Sophie Bolze bei Facebook oder auf ihrer Webseite besuchen:
Facebook: Elevage Aluinn
Homepage: http://www.elevagealuinn.com
Solltest du dennoch der Meinung sein, dass sich das progressive Absetzen in deinem Stall nicht umsetzen lässt, dann gibt es noch ein paar weitere, wissenschaftlich anerkannte Methoden, mit deren Hilfe das Absetzen weniger „brutal” gestaltet werden kann.
4 Methoden für ein sanfteres Absetzen
#1 – Nahrungsumstellung 🍔 / 🥕
Ich war ziemlich überrascht, aber die Fütterung des Fohlens hat einen erheblichen Einfluss auf das Stressniveau beim Absetzen.
„Nicol et al. (2005) haben gezeigt, dass Fohlen, denen Futter, das reich an Fett und Ballaststoffen ist, gegeben wird, während des Absetzens ruhiger sind als Fohlen, die viel Zucker und Stärke zu sich nehmen.” (Lansade et al., 2016)
Man sollte also unbedingt darauf achten, dass dem Fohlen bereits vor dem Absetzen immer genug Raufutter zur Verfügung steht. Eine mögliche Lösung hierfür ist ein unterteilter Futtertrog.
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#2 – Das Absetzen in der Gruppe 🐴🐴🐴🐴
Solltest du mehrere Fohlen haben, dann nutze diese Gelegenheit und setze sie alle zur gleichen Zeit ab. Im Idealfall werden sie gemeinsamen auf einen Paddock und nicht in eine Box gestellt.
Fohlen, die alleine in einer Box gehalten werden, entwickeln viel häufiger Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Ablecken oder Beißen in die Wände, Schlagen gegen die Boxenwände, steigen …). Bleiben die Fohlen hingegen zusammen auf der Weide, entspricht ihr Verhalten eher der Norm.
Auf dem Paddock ist die Umwelt nämlich wesentlich interessanter und vor allem abwechslungsreicher als in der Box. Daher verfallen die Fohlen auch seltener in einseitige Verhaltensmuster.
Kleine Pferde mit großem Frust 🥊
Außerdem steigt bei stressigen Situationen, wie dem abrupten Absetzen, oft das Aggressionspotential zumindest temporär. Haben sie also mehr Platz zur Verfügung, um einem „mürrischen” Artgenossen aus dem Weg zu gehen, sinkt somit auch das Verletzungsrisiko. Sollte keine andere Möglichkeit bestehen, als die Fohlen in der Box zu halten, dann sollten sie paarweise zusammengestellt werden. Dabei sollte man sie gut im Auge behalten, um erste Anzeichen aggressiven Verhaltens sofort erkennen zu können. Im Idealfall kennen sich die Fohlen bereits vorher.
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#3 – Das progressive Entfernen von der Mutter
Sollten sich in der Herde mehrere Zuchtstuten befinden, ist es ratsam, jeden Tag eine nach der anderen aus der Herde herauszunehmen. Dies stresst die Fohlen weniger als die Abwesenheit aller Stuten auf einmal.
Hat man jedoch nur ein einziges Fohlen pro Jahr, sieht die Sache leider etwas komplizierter aus…
#4 – Der Kontakt zu ausgewachsenen Pferden 👨👵👶
Es können ruhig einige ausgewachsene Artgenossen zu den Fohlen gestellt werden. Die Fohlen sind dadurch deutlich weniger gestresst als diejenigen, die nur unter sich sind. Dies wird z. B. daran deutlich, dass sie weniger wiehern und dass der Cortisolspiegel im Speichel geringer ist. Die Fohlen versuchen außerdem nicht, bei anderen Jungtieren zu saugen und sie verbringen mehr Zeit mit Fressen. 🥕🌽🍏
Auf diese Weise findet außerdem eine ausreichende Sozialisierung der Jungtiere statt und der Entstehung anormaler Verhaltensmuster wird langfristig vorgebeugt.
Das Verhalten der ausgewachsenen Tiere beeinflusst das der Fohlen positiv. Es ist außerdem nicht gut für die Jungtiere, ohne erwachsene Artgenossen aufzuwachsen, insbesondere dann, wenn sie domestiziert sind. Je unnatürlicher die Haltung der Pferde, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie aggressive Verhaltensmuster entwickeln: Eine Herde besteht nämlich normalerweise aus Tieren unterschiedlichen Alters.
Progressives Absetzen: das sagt die Wissenschaft
Mehrere Studien haben sich mit dem progressiven Absetzen auseinandergesetzt. Dabei wird der tägliche Kontakt von Mutter und Fohlen Tag für Tag schrittweise reduziert, erst werden sie nur ein paar Minuten voneinander getrennt, später mehrere Stunden und schließlich komplett.
Leider sind die Untersuchungen dieser Studien nicht vollständig und liefern daher keine eindeutigen Ergebnisse, weshalb sie nicht wirklich aussagekräftig sind.
Fazit
In der Natur läuft das Absetzen ganz anders ab als wir Menschen es in der Regel handhaben. Das Fohlen wird niemals abrupt von einem Moment auf den anderen von seiner Mutter getrennt. Stattdessen wird das Fohlen abgestillt, der enge Kontakt zur Mutter bleibt jedoch weiterhin bestehen. Die beiden entfernen sich nach und nach voneinander, das Fohlen wird aber durchschnittlich 10 Monate lang gesäugt. Die Mutter bleibt bis zu einem Alter von 2 bis 3 Jahren der liebste Sozialpartner des jungen Pferdes.
Eine plötzliche Trennung von Mutter und Fohlen tut den beiden nicht gut. Es gibt bessere Methoden, wie das Absetzen in Gruppen und die Gesellschaft ausgewachsener Artgenossen. In jedem Fall sollte auf eine nicht zu plötzliche Nahrungsumstellung geachtet werden.
In Zeiten von großen Veränderungen in Bezug auf den Umgang mit Pferden scheint die der Natur nachempfundene Variante des Absetzens immer mehr auf dem Vormarsch zu sein.
Bis zum nächsten Artikel,
Camille Saute
R&D-Managerin bei Equisense
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