Sein Pferd einreiten – in 4 Wochen
Wir sind uns wahrscheinlich alle einig darüber, dass der Prozess des Einreitens eine äußerst wichtige Etappe im Leben eines Pferdes ist. Dabei wird immer wieder über die verschiedenen Methoden zum Einreiten diskutiert. Die meisten Reiter heute möchten eine möglichst sanfte Methode, bei der das Pferd nicht „gebrochen” wird, sondern aus freiem Willen mit dem Menschen zusammen arbeitet.
Ich möchte euch den Ansatz von Sébastien Jaulin vorstellen. Er ist Verhaltensforscher und Ausbilder an einem der bekanntesten Gestüte Frankreichs, Haras de Hus.
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Verhaltensforscher an einem großen Gestüt?
Ganz genau! Wir werfen alle Vorurteile über Bord, denn auch Sportpferde können pferdefreundlich ausgebildet werden. Die Pferde von Haras de Hus werden alle nach ethologischen Grundsätzen ausgebildet und sind trotzdem – oder gerade deswegen – erstklassig platziert. Auch wenn 4 bis 10 Wochen kurz klingen mag, die Idee, die hinter dieser Methode steckt, ist, dass sich die Pferde während des Einreitens so wohl fühlen wie nur möglich. Sie nehmen bei der Ausbildung keinen physischen und vor allem keinen psychischen Schaden und sind damit bereit für eine erfolgreiche und lange Karriere.
Hier ein kleiner Videobeweis (Achtung: Englisch mit ausgeprägtem französischen Akzent). Bei dem ersten Pferd handelt es sich um eine fünfjährige Stute, die von Manuel Godin Dressur geritten wird und von Sébastien Jaulin nach ethologischen Grundsätzen ausgebildet wurde. Schau es dir selbst an, das Ergebnis spricht für sich.
Weiterlesen: 10 Prinzipien aus der Verhaltensforschung, die Reiter kennen sollten
Gehen wir etwas mehr ins Detail 🔍
Wo fängt Einreiten an und wo hört es auf?
Laut Duden ist die Definition von Einreiten:
„(ein Pferd) an einen Reiter, an das Gerittenwerden gewöhnen”
Für Sébastien Jaulin ist das Einreiten dann beendet, wenn das Pferd die Grundlagen der Dressur beherrscht. Das beinhaltet keine fliegenden Galoppwechsel oder Traversalen, sondern:
- Das Pferd kann alleine im Gelände geritten werden.
- Das Pferd biegt sich auf dem Zirkel um den inneren Schenkel, lässt sich innerhalb der Gangarten in unterschiedlichen Tempi reiten und geht am Zügel.
Bis dieses Ziel erreicht ist, vergehen etwa 4 bis 10 Wochen mit je 5 bis 6 Trainingseinheiten. Das Ganze hängt natürlich vom Pferd ab und kann auch schonmal länger dauern als 10 Wochen.
Eine frühe Erziehung
Beim Gestüt Haras de Hus beginnt die Ausbildung 14 Tage nach dem Absetzen, das im Alter zwischen 8 und 12 Monaten erfolgt.
Mehr dazu: Fohlen absetzen – wann und wie?
Nach dem Absetzen beginnt die Erziehung des jungen Pferdes. Sie werden eine Woche lang an das Halfter und an das Führen am Strick gewöhnt. Sie akzeptieren Berührungen am ganzen Körper und lassen jeden Fuß unabhängig voneinander bewegen.
Diese Übungen werden im Alter von 2 Jahren noch einmal für eine Woche wiederholt. Je nach zukünftiger Nutzung des Pferdes wird es im Alter von 2,5 bis 3,5 Jahren angeritten.
Im Gestüt von Sophie Bolze, die Connemara Ponys züchtet, beginnt die Erziehung sogar bereits vor dem Absetzen:
„Die Erziehung erfolgt mithilfe der Mutter.
Zu Beginn der Erziehung nehme ich die Mutter zur Hilfe. Ich zeige an ihrem Beispiel das Führen, das Abbrausen, ich führe sie ins Wasser, zeige ihnen die Reithalle und den Waschplatz. Überall ist die Mutter dabei. Ich habe sehr gute Erfahrungen mit dieser Methode gemacht.s geht schneller und auch später beim Einreiten machen sich die positiven Effekte bemerkbar.”
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Der körperliche Zustand des Pferdes ist entscheidend
Beginnt das Anreiten, bewegt sich das junge Pferd wesentlich mehr als zuvor. Das kann unter Umständen dazu führen, dass es an Gewicht verliert. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich zusätzlich auch noch seine Umgebung verändert, was ja meistens der Fall ist, wenn man sein Pferd in Beritt gibt.
„Während des Einreitens sollten die Pferde nicht auf Sparflamme laufen. Deshalb bevorzuge ich es, dass die Pferde, die bei mir in Beritt sind, ein leichtes Übergewicht haben. Sie haben jederzeit Heu zur Verfügung und wir füttern ihnen ein kleines bisschen mehr Kraftfutter als wir es normalerweise tun.”
Sébastien Jaulin
Bevor das Pferd angeritten wird, wird sein gesamter Bewegungsapparat genau untersucht. Somit wird rechtzeitig erkannt, ob ein Pferd überhaupt geritten werden kann und man möchte alle Besonderheiten des Pferdes kennen. Dies können auch eventuelle Schwachstellen in Bezug auf die Anatomie sein, die beim Einreiten berücksichtigt werden müssen. Das Training muss an die spezifischen Bedürfnisse des Pferdes angepasst werden.
Auch die Zähne des Pferdes werken kontrolliert und die Wolfszähne, falls durchgebrochen, entfernt.
Der Ablauf des Einreitens
Soll das Einreiten 4 Wochen dauern, wird das Pferd 5 bis 6 mal pro Woche gearbeitet und das 2 Mal täglich: einmal für das Training mit dem Reiter und einmal für den Gang auf den Paddock oder in der Führmaschine.
Woche 1 📅
Das Einreiten beginnt mit Bodenarbeit. Dabei geht es in erster Linie darum, dass der Mensch die Beine des Pferdes unabhängig voneinander kontrollieren kann.
Außerdem wird das Pferd desensibilisiert: Es wird mit allen möglichen Gegenständen wie Fahnen und Planen konfrontiert, die Longe wird um seinen Hals gelegt usw.
Das Ziel der ersten Woche ist es, dass das Pferd sich in seiner Umgebung wohlfühlt und ihm den natürlichen Fluchtreflex, der durch unbekannte Objekte ausgelöst wird, abzutrainieren.
⚠ Diese Etappe ist entscheidend für den weiteren Ablauf des Einreitens. Dauert das Einreiten 10 anstelle von 4 Wochen, dann liegt das meistens daran, dass genau diese Phase länger gedauert hat. Denn wie wir wissen, sind nicht alle Pferde gleich und manche brauchen nun mal mehr Zeit.
Woche 2 📅
In der zweiten Woche wird das Pferd mit der Ausrüstung und der Aufstiegshilfe vertraut gemacht. Und geht als Handpferd mit ins Gelände!
Zunächst wird das Maul des Pferdes desensibilisiert. Es wird mit dem Gebiss und der Trense vertraut gemacht, außerdem mit der Longe und der Doppellonge.
Anschließend beginnt die Desensibilisierung des Rückens. Das Pferd wird an den Longiergurt und danach an den Sattel gewöhnt. Direkt danach folgt die Arbeit an der Aufstiegshilfe. Von beiden Seiten und ohne Festhalten!
Und dann kommt etwas wirklich Erstaunliches: der Gang ins Gelände als Handpferd.
Der Ausbilder reitet auf einem erfahrenen Pferd und hält dabei das junge Pferd an Strick und Halfter neben sich. Und so geht’s dann ins Gelände. Es wird richtig ausgeritten, mit Galopp und allem, was dazugehört. 😱
Der Sinn dahinter: Das junge Pferd soll sich an den Anblick eines Reiters auf einem anderen Pferd gewöhnen. Außerdem werden eventuelle Sozialisierungsprobleme dabei sofort erkannt und man kann später besser abschätzen, wie das Pferd auf die vielen Reize im Gelände reagiert.
Von der ersten Woche an ist das Ziel, dass das Pferd Vertrauen zum Reiter gewinnt und es zu desensibilisieren, um ihm seinen Fluchtreflex abzutrainieren.
Woche 3 📅
Sobald diese Etappe geschafft ist – ab aufs Pferd, wir gehen ausreiten! 🏇🏻
Das Pferd soll nun die Grundlagen wie Schwung, Aufrichtung und korrekte Haltung erlernen.
Insbesondere diejenigen Pferde, die später einmal im Turniersport eingesetzt werden sollen, werden auf hohe körperliche Anstrengung vorbereitet: Dabei wird z. B. bis zu 4 km auf Waldwegen getrabt oder galoppiert. Dabei wird nicht nur die körperliche Fitness verbessert, sondern man kann gleichzeitig sehen, wie das Pferd auf Situationen reagiert, die außerhalb seiner Komfortzone liegen.
Woche 4 📅
Zum Schluss geht es ins Viereck. Während Woche 4 lernt das Pferd die Hilfen kennen und ihm werden die Grundlage der Dressur vermittelt. Es soll in der Lage sein, sich auf dem Zirkel um den inneren Schenkel zu biegen, die Haltung im Genick soll nicht zu frei sein und das Pferd geht in Anlehnung.
„Hat das Pferd Vertrauen in den Reiter und reagiert aufmerksam auf die Hilfen, dann kann man ihm schnell Dressurlektionen beibringen. Denn die Voraussetzung dafür ist ein ruhiges, lockeres Pferd, das nicht versucht, zu flüchten.“
Sébastien Jaulin
Die 4 wichtigsten Faktoren beim Einreiten
Es gibt 4 entscheidende Faktoren, die das Einreiten maßgeblich vereinfachen oder eben erschweren können.
1. Die Erfahrung des Reiters
Es hat natürlich einen großen Einfluss auf den Ablauf des Einreitens, ob der Ausbilder und die Personen, die das Pferd trainieren und erziehen, erfahren sind oder eben nicht. Denn schon Kleinigkeiten beeinflussen das Verhalten von Pferden, besonders bei der Desensibilisierung. Daher sollte man bei der Ausbildung seines Pferdes auf jeden Fall mit einem Profi zusammenarbeiten.
2. Die Erziehung und das Aufwachsen vor dem Einreiten
Je nachdem, wie die Erziehung vor dem Einreiten verlaufen ist, ist dieses mehr oder weniger kompliziert.
Verwöhnte Pferde sind oft weniger leistungsbereit und „kleben” an ihrem Menschen. Pferde, mit denen allgemein weniger gearbeitet wurde, respektieren zwar eher die „Distanzzone” des Menschen, sind aber dafür schwieriger zu desensibilisieren.
Abgesehen von der Erziehung an sich sind aber auch die Haltungs– und Rahmenbedingungen entscheidend.
3. Die Genetik
Auch die Genetik spielt eine große Rolle beim Einreiten. Das ist natürlich auch eine Frage der Rasse: Vollblüter sind oft nicht einfach zu desensibilisieren, sind dafür aber körperlich sehr leistungsbereit.
Die Eigenschaften der Eltern sind natürlich auch wichtig. Möchtest du mit deiner Stute züchten, solltest du natürlich auch die Eigenschaften des Deckhengstes gut kennen.
4. Die Ausrüstung
Das Anreiten ist der Moment, in dem das Pferd eine Beziehung zum Reiter aufbaut.
Ist der Sattel also der „Einreitsattel”, der für jedes Pferd benutzt wird und eigentlich gar nicht richtig passt, sind das keine guten Voraussetzungen. Das Pferd wird den Sattel lange Zeit mit Druckstellen und Schmerzen in Verbindung bringen. Nicht zu vergessen, dass ein nicht passender Sattel natürlich noch schlimmer ist, wenn ein Reiter auf dem Pferd sitzt.
Daher sollte der erste Sattel, der auf das Pferd gelegt wird, auch wirklich passen.
Fazit
„In den mehr als 30 Jahren, in denen ich als Züchter arbeite, habe ich meine Fohlen immer selber eingeritten. Sie werden bei mir geboren, ich erziehe sie von ihrer Geburt an und bringe ihnen alles bei. Sie werden in ihrer Heimat eingeritten, einem Ort, an dem sie sich wohlfühlen. Daher ist das Anreiten an sich nur eine Formalität. […]”
Sophie Bolze
Das Einreiten ist der Beginn der sportlichen Karriere eines jeden Pferdes und seine erste Erfahrung mit Reiter auf dem Rücken. Diese neue Erfahrung sollte also so angenehm wie nur möglich gestaltet werden. Ist dies nicht der Fall, kann es später schwierig im Umgang werden.
Daher sollte man wissen, was man tut. Man sollte verstanden haben, wie Pferde lernen und von Anfang an Sicherheit ausstrahlen. Genau deshalb ist es ratsam, einen Profi zu Hilfe zu holen. Sein Pferd ganz alleine einzureiten, ist ziemlich riskant.
Wir freuen uns über Kommentare und Anregungen von Ausbildern. Wie gestaltet ihr das Einreiten?
Camille Saute
R&D Managerin bei Equisense
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