Zu mehr Gleichgewicht im Sattel mit William Fox-Pitt
Im Jahr 2015 hatte ich die einmalige Gelegenheit, einen Vortrag von William Fox-Pitt höchstpersönlich zu hören. Es ging um das Gleichgewicht des Reiters. Und tatsächlich hat dieser Vortrag meine Sichtweise auf die Art und Weise wie wir beim Springen im Sattel sitzen komplett auf den Kopf gestellt!
Die Links zum Vortrag findest du ganz unten im Artikel.
Table des matières
Warum weiß William Fox-Pitt alles über das Gleichgewicht des Reiters?
Für all diejenigen, die ihn nicht kennen: William Fox-Pitt ist ein Vielseitigkeitsreiter aus England. Er war der erste englische Weltmeister in der Vielseitigkeit und hat außerdem 4 Mal bei den Olympischen Spielen eine Medaille gewinnen können – eine ziemlich beeindruckende Erfolgsbilanz.
Was an ihm besonders heraussticht ist seine Größe: Er ist stolze 1,98 m groß und wiegt dabei 76 kg. Das ist für Reiter eher untypisch. Laut eigener Aussage war er nie besonders sportlich und hatte daher Schwierigkeiten damit, die richtige Position auf dem Pferd zu finden.
hat dies jedoch mittlerweile zu seiner Mission gemacht. Wer bei ihm reitet, langweile sich, sagt er, denn bevor sie nicht ihr Gleichgewicht im Sattel und ihren perfekten Sitz gefunden haben, arbeiten sie an nichts anderem.
Die Wichtigkeit der Balance auf dem Pferd
Laut William Fox-Pitt kann ein schlechtes Gleichgewicht auf dem Pferd, egal ob bei der Dressur oder beim Springen, zu enormen Schwierigkeiten führen. Ist der Reiter nämlich nicht ausbalanciert, muss das Pferd dies kompensieren, wodurch es selbst ebenfalls aus dem Gleichgewicht gerät.
Dabei zeigt er außerdem den Zusammenhang zur Zäumung des Pferdes auf: Sehen sich Reiter dazu gezwungen, immer und immer schärfere Gebisse zu verwenden, dann ist dies häufig der Fall, weil sie selber nicht im Gleichgewicht sind. Das Pferd muss das Ganze dann sozusagen ausbaden.
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Wie William Fox-Pitt uns zum Umdenken bringt
William Fox-Pitt definiert gutes Gleichgewicht beim Reiten wie folgt: Wenn man den Reiter, genauso wie er gerade auf dem Pferd sitzt, auf den Boden stellen und er bleibt genau in dieser Position stehen. Er kippt weder nach vorne noch nach hinten. Wäre das der Fall, müsste das Pferd das Ungleichgewicht kompensieren. Bis dahin sind sich die meisten Reiter noch einig.
Aber jetzt kommt das Besondere: Er empfiehlt, im leichten Sitz bzw. Springsitz alle Gelenke stark anzuwinkeln, die Schultern nach vorne und das Gesäß und die Vertikale nach hinten zu nehmen. Squats auf dem Pferd quasi!
Er sagt also, dass Schultern, Becken und Fersen immer eine Linie bilden sollen, so wie ich es z. B. gelernt habe.
„Oft sieht man bei Geländeritten, dass sich Reiter zwischen den Hindernissen komplett gerade halten und dabei so steif sind, wie Polizeibeamte. Dabei berühren sie oft bei jedem Galoppsprung mit dem Gesäß den Sattel und ihre Beine bewegen sich ziemlich viel.“
Er ist der Überzeugung, dass diese flexible Position zwischen den Hindernissen besser für das Pferd ist; „Auch, wenn es nicht üblich ist”. Diese Position, die er immer zwischen Hindernissen einnimmt, gebe ihm mehr Beweglichkeit, Flexibilität und die Möglichkeit, alle Bewegungen abzufedern, was ihm einen vom Pferd unabhängigen Sitz ermöglicht.
Auch in dieser Position kann er natürlich beim Anreiten eines Hindernisses in den Sattel einsitzen. Dabei hat er mehr Spielraum als der „Polizeibeamte”, wie er es nennt.
War William Fox-Pitt in seinem vorherigen Leben Freestyle-Skifahrer?
Schaut man sich Videos an, in denen William Fox-Pitt einen Spring- oder vor allem Vielseitigkeitsparcours reitet, dann erinnert seine Haltung tatsächlich an die eines Skifahrers auf einer Buckelpiste. Sein Rücken bewegt sich kaum im Verhältnis zum Boden. Seine Knie fangen alle Bewegungen ab, wodurch sein Sitz unabhängig vom Pferd ist.
Siehe selbst:
Die Länge der Steigbügel macht den Unterschied
Wie kann man selbst diesen Sitz erreichen? Indem man die Steigbügel kürzer schnallt. Sind sie „zu lang”, hat der Reiter nicht genug Bewegungsspielraum, um seine Knie beugen zu können, ohne dabei den Sattel zu berühren.
Manche Reiter fühlen sich in dieser Position unsicher, da sie weniger Kontakt mit dem Pferdebauch haben. William Fox-Pitt versichert aber, dass die verkürzten Steigbügel den unteren Teil des Beines stabilisieren und somit dem Reiter im Sattel Sicherheit geben.
Ein bisschen Biomechanik
Mehr Stabilität im Sattel
Aus Sicht der Biomechanik herrscht ein globales Gleichgewicht, wenn das Kräftepolygon geschlossen ist. Dieses Polygon besteht aus mehreren isolierten Subsystemen, die zusammen einen sog. Kräfteplan bilden.
Stehst du ganz normal auf dem Boden, dann bildet die Fläche deiner beiden Füße und die Fläche zwischen ihnen das Polygon. Um das Gleichgewicht zu halten, muss die Vertikale, die durch deinen Schwerpunkt verläuft, durch dieses Vieleck gehen.
Beugst du dich also auf dem Pferd mit dem Rücken nach vorne, beeinflusst das in keinster Weise negativ dein Gleichgewicht. Beim Skifahren lehnt man sich ja auch nach vorne, um das Gleichgewicht zu halten. Beim Reiten bringt diese nach vorne gebeugte Haltung mehr Stabilität als die „klassische”, also gerade Haltung, wenn man sich mehr beugt, denn dann senkt sich der Schwerpunkt und somit erhöht sich die Stabilität.
Stört das mein Pferd nicht?
Nein, überhaupt nicht. Falls das Pferd durch diese Position gestört werden sollte, dann liegt das nicht an der Position an sich, sondern höchstens daran, dass der Reiter nicht ausbalanciert ist und die Bewegungen nicht genug abfängt.
Solange du im Gleichgewicht bist, ist es egal, ob du deinen Rücken gerade hältst oder dich nach vorne lehnst. Das macht für das Pferd keinen Unterschied.
Ist dein Rücken absolut gerade, aber deine Beine sind zu weit vorne, dann bist du nicht im Gleichgewicht und störst damit dein Pferd.
Sieht das nicht komisch aus?
Siehe selbst 😉
Beim Geländespringen (sehr deutlich)
Beim Springen (etwas weniger ausgeprägt)
Der Selbstversuch
Noch am selben Tag fuhr ich in den Stall, weil ich das Ganze unbedingt sofort selbst ausprobieren wollte. Ich habe ein kleines Cavaletti aufgebaut (70 cm) und habe meine Steigbügel um 4 Löcher verkürzt.
Ich habe mich um 15 Jahre in der Zeit zurückversetzt gefühlt, als ich im leichten Sitz durch die Halle traben musste und mich mit vorgestreckten Händen verzweifelt an der Mähne festgehalten habe. Diesmal allerdings habe ich mich weiter nach vorne gebeugt und das Gesäß weiter oben gehalten, um die Bewegungen meines Pferdes so gut wie möglich abfedern zu können. Dann habe ich das Ganze auch im Galopp ausprobiert und bin sogar gesprungen. Ich bin in allen 3 Gangarten geritten und habe meine Stute einfach machen lassen, um mich voll und ganz auf meinen Sitz konzentrieren zu können. Dieser Selbstversuch war für mich wirklich sehr aufschlussreich, besonders die Sprünge aus dem Schritt in dieser Position habe ich ganz anders wahrgenommen als sonst.
Das gibt Muskelkater…
Für mich war dieser Versuch eine kleine Erleuchtung. Auch wenn es ziemlich anstrengend ist, denn besonders die Oberschenkel werden in dieser Position enorm beansprucht, und zwar ganz anders als beim „normalen” Sitz. Ich hatte anschließend ordentlich Muskelkater. Aber: Ich bin weniger hin und her gerutscht, ich war geschmeidiger und unabhängiger von meinem Pferd. Im Großen und Ganzen fiel mir das Reiten so sogar einfacher. Vor allem hatte ich den Eindruck, meine Stute viel weniger zu stören als sonst.
Ich weiß, dass ich nicht William Fox-Pitt bin und nicht über seine reiterlichen Fähigkeiten verfüge, aber dennoch habe ich das Gefühl, in dieser Position recht schnell Fortschritte erzielen zu können.
Fazit
Das Fazit dieses Artikels lautet nicht „man muss beim Reiten den Rücken nach vorne nehmen, das ist besser”, sondern:
- Manchmal muss man einfach seine Komfortzone verlassen und Dinge ausprobieren. Dabei sollte man auch mal Dinge in Frage stellen, die man „schon immer so gemacht hat”. Jeder hat auf dem Pferd seine Schwächen. Und um sich zu verbessern, kann es helfen, auch mal etwas zu tun, was einem im ersten Moment vielleicht etwas Angst macht. Zum Beispiel ohne Sattel reiten, um an seinem Sitz zu arbeiten.
- Wir sollten offen für Neues sein und einfach mal Sachen ausprobieren, auch wenn wir sie vielleicht anders gelernt haben. Es gibt nicht nur eine richtige Variante. Wir können viel lernen von Reitern wie William Fox-Pitt.
- Im Sattel sind ein geschmeidiger Sitz, der das Pferd nicht stört, und die Synchronisation mit den Bewegungen des Pferdes essentiell. Laut Studien unterscheiden genau diese Kriterien Anfänger von Profis.
- Nur wenn man sich im Gleichgewicht befindet, stört man sein Pferd nicht. Um Sitzschulung kommt man also niemals herum.
Ich kann dir nur dazu raten, ebenfalls den Selbstversuch zu wagen. Verkürze deine Bügel, greif in die Mähne und los geht’s! Wechsle zwischen der Haltung des “´Polizeibeamten” und des Jockeys bzw. Skifahrers.
Und falls die Erleuchtung ausbleibt und du kein Aha-Erlebnis hast, dann hast du zumindest deine Oberschenkelmuskeln trainiert! 💪
Bis zum nächsten Artikel
Camille Saute
R&D-Managerin bei Equisense
Die offizielle Seite von W. Fox-Pitt: http://www.foxpitteventing.co.uk/
Der Tag des Sports IFCE:
Gruppe 1: https://www.youtube.com/watch?v=ouhKmXqVnrE
Gruppe 2: https://www.youtube.com/watch?v=IFfbZKQeSy8
Gruppe 3: https://www.youtube.com/watch?v=_sFdXnRZtXE
I. A. Wolframm, J. Bosga, und R. G. J. Meulenbroek, “Coordination dynamics in horse-rider dyads”, Hum. Mov. Sci., vol. 32, no 1, S. 157‑170, 2013.
Abbildungen
Policeman by Gregor Cresnar from the Noun Project
squatting by Blaise Sewell from the Noun Project
foot by boggu from the Noun Project