Angst beim Reiten: So bekommst Du sie in den Griff!
Reden wir nicht lange um den heißen Brei: Wir ALLE hatten in unserem Leben bereits einmal Angst beim Reiten. Angst beim Galoppieren, Angst beim Ausreiten, Angst vor dem riesigen Oxer von 95 cm beim Springen 😨, Angst vorm Pferd, das den Reiter häufig herunterwirft, Angst vor einem Turnier, Angst, dass sein Pferd vor dem Blumentopf 💐 auf dem Platz erschreckt… Es gibt viele Ängste. Manchmal kann diese Angst und motivieren und wir bekommen sie in den Griff, manchmal lähmt sie uns regelrecht und wir stehen hilflos da. Hier einige Tipps, die dir bei Angst beim Reiten helfen können!
Für diesen Artikel habe ich Unterstützung bei Audrey Blumenfeld gesucht. Sie ist Stallbesitzerin und verbringt einen großen Teil ihrer Zeit damit, Reitern die Angst beim Reiten zu nehmen und ihne dabei helfen, erneut Vertrauen aufzubauen. An dieser Stelle möchte ich mich für unsere Gespräche und ihre Hilfe bedanken.
Table des matières
Angst: Was ist das?
Angst ist womöglich eines der grundlegendsten Gefühle im Tierreich, das eine Kampf- oder Fluchtreaktion auslöst.
Wenn eine Situation als gefährlich eingestuft wird, wird eine Angstsituation ausgelöst. Diese hat eine Reihe von physiologischen Reaktionen zur Vorbereitung auf eine Flucht und/oder zum Schutz zur Folge. Bei Angst wird z. B. Adrenalin ausgeschüttet. Dieses sorgt für:
- eine Steigerung der Herzfrequenz, um mehr Sauerstoff zu den Muskeln zu transportieren
- eine Steigerung der Atemfrequenz
- eine Erweiterung der Pupillen, um mehr Informationen wahrzunehmen
- eine ungewöhnliche Schweißabsonderung, die mit einem mehr oder weniger starken Geruch einhergehen kann (Lecker 👃 )
Zusätzlich kann der Betroffene Unwohlsein in der Magengegend, das Gefühl einer verengten Kehle und eine Versteifung der Muskeln wahrnehmen.
Angst oder auch Furcht sollte also nicht als negatives Gefühl wahrgenommen werden, denn sie ist Teil des Überlebensinstinkts vieler Spezien. Wenn ein Zebra in der Savanne keine Angst vor dem Löwen hätte, dann würden wir heute nur noch wenige Zebras sehen. 😅
Angst ist ansteckend
Angst kann ansteckend sein und sich vom einen auf den anderen Menschen oder von der einen auf die andere Spezies übertragen.
Wenn ein Pferd Angst vor etwas hat, kann es diese Angst auf die anderen Pferde übertragen. Diese folgen ihm und flüchten ebenfalls.
Das gleiche kann von Spezies zu Spezies beobachtet werden. Wenn eine Antilope ein verdächtiges Geräusch wahrnimmt und dieses Angstgefühl zu einer Fluchtreaktion führt, dann besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass andere Tiere außenherum ebenfalls zu fliehen beginnen.
Um auf unseren konkreten Fall zurückzukommen: Wenn du Angst hast, dann hat dein Pferd es auch! Es sagt sich dann: “Wenn sie Angst hat, dann besteht Gefahr, also flüchten wir.” Andersherum ist es genau das selbe. Wenn dein Pferd beim Ausreiten plötzlich wie angewurzelt stehen bleibt, den Kopf hebt, die Ohren nach vorne stellt, du seinen Herzschlag an deinen Beinen spüren kannst, dann beginnst du sicherlich auch, Angst zu haben. 🤯
Pferde nehmen unsere Gefühle oft besser wahr als wir selbst …
Ich möchte dir hierzu eine kurze Geschichte erzählen. Im September 2017 wurde ich zu einer Gesprächsrunde zum Gestüt Haras de la Cense eingeladen. Am Ende entschieden sich nur die Redner, über das Wochen zu bleiben. Zwei davon sind dir vielleicht bekannt: Thierry Lhermite und Andy Booth. Wir hatten also reichlich Zeit, über die Reaktionen unserer Pferde angesichts unterschiedliche Gefühle zu diskutieren.
Andy Booth erklärte mir, dass Tiere die Gefühle anderer Tiere, selbst anderer Spezies sehr gut wahrnehmen. Es ist z. B. nicht selten, dass man an der selben Wasserstelle, Löwen und andere Fleischfresser gleichzeitig mit Zebras und anderen Pflanzenfressern vorfindet. Du wirst nun sagen, dass ist ja genau das Gegenteil von dem, was ich oben erklärt habe. Aber das ist es eigentlich nicht. Die Begründung: Ein Löwe auf der Jagd verhält sich nicht gleich wie ein Löwe, der gerade erst gefressen hat. Und genau das kann die “Beute” spüren.
Was du dir hier merken solltest: Pferde können die Gefühle anderer Spezien wahrnehmen. Selbst wenn du also nicht merkst, dass du Angst hast, dein Pferd kann es spüren!
👉🏻 Weiterlesen: Die Fantome, die dein Pferd sieht, sind echt 👻
Das Problem liegt nicht die Angst selbst, sondern sich deren bewusst zu werden …
Das Problem ist also nicht die Angst selbst, sondern die Tatsache, dass du dir deren nicht bewusst bist. Es ist gut möglich, dass deine Angst da ist, du sie aber nicht wahrnimmst. Es handelt sich um eine Art Leugnen. Dein Pferd spürt diese jedoch sehr wohl!
Es entsteht ein Konflikt zwischen dem was du denkst und dem was du fühlst. Dein Pferd nimmt diese Paradoxon als Unstimmigkeit wahr, und das macht ihm Angst.
Die Tatsache, seine Angst zu leugnen, macht es also nicht besser!
Es gibt 2 Arten von Angst
Sobald wir diese Angst erst einmal akzeptiert haben, stellen wir fest, dass es 2 Arten von Angst gibt:
- mentale Angst: Angst zu versagen, Angst vor den Blicken anderer, Angst vor einem Turnier)
- Angst vor einer wahren Gefahr: Angst vor Unfällen oder einer gefährlichen Situation, Angst vor der Höhe eines Hindernisses
Schauen wir uns diese beiden Fälle einmal im Detail an.
1️⃣ Mentale Angst
Diese Angst ist sehr speziell, da sie etwas Menscheneigenes ist.
Hierbei geht es nicht um die Angst vor einem Unfall sondern davor, sich verletzlich zu zeigen.
Die Lösung für dieses Problem liegt darin, sein Ego beiseite zu schieben. Hierfür benötigt es mentaler Vorbereitung. Schauspieler und Spitzensportler z. B. lernen spezielle Atemtechniken, um mit ihrem Stress umzugehen 😊
📚 Weiterlesen: 4 Techniken gegen Stress für Turnierreiter
2️⃣ Angst vor einer wahren Gefahr
In diesem Fall entsteht die Angst aus einer sehr konkreten Situation heraus. Diese Angst liegt häufig in einem Fall oder Unfall, den der Reiter erlebt oder mitangesehen hat, begründet.
Die Schwierigkeit hierbei liegt darin, diese tiefsitzende Angst zu erkennen und zu akzeptieren. Wir versuchen häufig, diese Angst unter den Teppich zu kehren, sie zu verdrängen; wir geben uns dem Zwang der Gruppe hin.
“Alle meine Freunde springen 130, also muss ich auch 130 springen, vor allem, da mein Pferd es kann. Ansonsten ist es peinlich. Aber ich hab schon Angst davor.”
Wir versuchen also, nicht zu sehr auf unsere innere Stimme zu achten und machen, was man uns sagt oder was die anderen machen. Das Problem, das hierbei häufig auftritt: Dieser Konflikt zwischen dem eigenen Ego und der Angst endet in einem Unfall.
Angst beim Reiten: Was tun in solch einer Situation? 🙏🏻
Der erste Schritt in solch einer Situation besteht darin, sich seine Angst einzugestehen und sie zum Ausdruck zu bringen. Alles beginnt also mit einer Arbeit an sich selbst. Das genaue Identifizieren der Angst und die Fähigkeit, offen darüber zu sprechen.
Im Anschluss stellen wir uns die Fragen “Vor was genau habe ich eigentlich Angst?”.
Bei der Angst vor der Höhe des Hindernisses wäre eine mögliche Antwort z. B. “Ich habe Angst, das Anreiten zu vermasseln, ins Hindernis zu donnern und uns beide zu verletzen”. Die richtige Reaktion hierauf ist sich zu fragen: “Was kann ich tun, um diese Angst zu mindern?”. Eine Möglichkeit zur Minderung der Angst wäre: “In diesem Fall könnten wir zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen beim Springen anbringen und eine Schutzweste tragen.”
Nun gehen wir zurück zu unserer Frage: “Und jetzt? Vor was genau habe ich jetzt noch Angst?” und “Was kann ich machen, um die Angst weiterhin zu mindern?”. Wir versuchen hierbei, bei jeder Etappe neue Sicherheit hinzuzufügen. Du könntest z. B. Angst davor haben, die richtige Distanz nicht zu sehen. In diesem Fall stellst du dir Hilfen für die Distanz auf usw.
Das richtige Umfeld macht es! 🤗
Die Lösung in dieser Situation ist also das Einbringen maximaler Sicherheitsvorkehrungen. Zögere nicht davor, eine Stufe zurückzuschrauben und nach und nach kleine Schritte nach Vorne zu machen.
Du wirst sehen, dass deine Angst mit der Zeit schwinden wird und du Vertrauen fasst.
Dieser Prozess kann abhängig von deinem Ziel und deiner Persönlichkeit lang oder kurz sein. Das Wichtigste bleibt, dir einzugestehen, dass du Angst beim Reiten hast und dein Ego beiseite zu nehmen.
Angst: Freund oder Feind? 👍👎
Angst kann ein Freund sein. Gute Reiter machen sich ihre Angst im Alltag zu Nutzen.Es ist diese Angst, die uns dazu bringt Nein zu sagen! “Nein, ich steige jetzt nicht auf dieses Pferd, sondern wir longieren erst einmal, damit es sich austoben kann. Danach schauen wir weiter.”
„Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“
Nehmen wir einmal ein anderes Beispiel: Ein Fallschirmjäger, der in Richtung Kampfgebiet fliegt und kurz vor dem Absprung ist. Natürlich hat er Angst, sich morgens um 3 Uhr im Stockdunkeln in einem feindlichen Gebiet herunter zu lassen. Er nutzt diese Angst jedoch zu seinem Vorteil. Seine Angst führt dazu, dass er jedes Element seines Materials gründlich untersucht, um sicherzustellen, dass er alles dabei hat, alles richtig befestigt ist und nichts herumbaumelt. Es ist seine Angst, die es ihm ermöglicht, zu springen, ohne dabei sein Leben aufs Spiel zu setzen.
Sei also wie ein Fallschirmjäger! Fürchte deine Angst nicht, sondern nutze ihre positiven Aspekte.
Leider haben wir als Kind häufig Situation (mit-)erlebt, in denen es hieß “Du hast Angst? Mach dir nichts daraus. Wir versuchen es gleich nochmal”. Gewalt und Zwang helfen jedoch nicht bei der Lösung des Problems. Das trifft für dich als Reiter, aber auch auf dein Pferd zu.
Je mehr wir mit unserem Pferd zusammenarbeiten, desto besser. Durch Anschreien allein bringt man einem Reiter nicht bei, die 130 Hindernisse zu springen. Genauso wenig bringt man seinem Pferd durch Zwang bei, eine Ecke ordentlich auszureiten, vor der es Angst hat.
Unser Fazit: Es ist ganz normal, Angst zu haben. Jeder hat Angst. Der richtige Weg liegt darin, diese Angst zu akzeptieren und sich zu nichts zwischen zu lassen, um diese Angst zu mindern. Suche nach Lösungen, die dich in Angstsituationen in Sicherheit wiegen. Akzeptiere, dass es ab und an nicht schlecht ist einen Schritt zurückzugehen, um richtig durchzustarten.
Ich hoffe, dass dieser Artikel zur Angst beim Reiten dir geholfen hat.
Ich finde dieses Thema sehr spannend und freue mich, wenn ich dir hierbei unter die Arme greifen kann.
Bis ganz bald
Camille Saute
Mitbegründerin von Equisense
Quellen:
« Furcht », Wikipedia, 2018. [Online]. Verfügbar: https://de.wikipedia.org/wiki/Furcht. [Letzer Zugriff: 30.01.2020].S. Dhont, « En finir avec ses peurs », Cheval pratique, vol. 344, p. 60‑65, nov-2018.